Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
machst du Witze.«
»Aber wenn man aus Grimstad ist, kann man vielleicht auch in Lillesand zur Schule gehen.«
Sie weinte nicht mehr. Dafür reagierte jetzt ihre Mutter. Sie stand auf und schaltete den Fernseher aus.
»Was ist das für ein Unfug, Sofie?«
»Ach, nichts ...«
»Doch, etwas ist es! Du hast einen Freund und ich glaube langsam, dass er sehr viel älter ist als du. Antworte mir jetzt: Kennst du einen Mann im Libanon?«
»Nein, das nicht gerade ...«
»Kennst du den Sohn von einem, der im Libanon ist?«
»Nein, hör mal. Ich kenne ja nicht mal seine Tochter!«
»Von wem redest du?«
»Das geht dich nichts an.«
»Ach, nicht?«
»Vielleicht sollte ich dich lieber mal ausfragen. Warum ist Papa nie zu Hause? Vielleicht, weil ihr zu feige seid, um euch scheiden zu lassen? Hast du vielleicht einen Freund, von dem Papa und ich nichts wissen? Und so weiter und so weiter. Wir haben beide unsere Fragen.«
»Ich glaube jedenfalls, wir müssen miteinander reden.«
»Kann schon sein. Aber jetzt bin ich so müde, dass ich lieber ins Bett gehe. Und außerdem hab ich meine Tage.«
Sie rannte aus dem Zimmer und war immer noch den Tränen nahe.
Kaum war sie im Badezimmer fertig und unter die Bettdecke gekrochen, kam ihre Mutter herein.
Sofie stellte sich schlafend, obwohl sie wusste, dass ihre Mutter ihr das nicht abnahm. Sie wusste auch, dass ihre Mutter wusste, dass Sofie wusste, dass sie ihr das nicht abnahm. Trotzdem tat auch die Mutter so, als ob Sofie schon schliefe. Sie setzte sich auf die Bettkante und streichelte ihren Nacken.
Sofie überlegte sich, wie schwer es doch war, ein Doppelleben zu führen. Langsam freute sie sich auf das Ende des Philosophiekurses. Vielleicht war er bis zu ihrem Geburtstag vorbei – oder jedenfalls bis zum Johannistag, wenn Hildes Vater aus dem Libanon zurückkommen würde ...
»Ich möchte an meinem Geburtstag ein Fest machen«, sagte sie jetzt.
»Das ist schön. Und wen willst du einladen?«
»Viele ... darf ich?«
»Natürlich. Wir haben ja einen großen Garten. Und vielleicht hält sich das schöne Wetter.«
»Aber am liebsten möchte ich erst in der Johannisnacht feiern.«
»Ja, dann machen wir das doch.«
»Das ist ein wichtiger Tag«, sagte Sofie, und dabei dachte sie nicht an ihren Geburtstag.
»Ach ...«
»Ich finde, ich bin in der letzten Zeit so erwachsen geworden.«
»Ja, ist das denn nicht schön?«
»Ich weiß nicht.«
Sofie hatte die ganze Zeit, während ihre Mutter sprach, den Kopf im Kissen vergraben. Jetzt sagte die Mutter:
»Aber Sofie – du musst mir erzählen, warum du so ... wa rum du im Moment so unausgeglichen bist.«
»Warst du das mit fünfzehn nicht?«
»Das war ich sicher. Aber du weißt schon, was ich meine.«
Sofie drehte sich zu ihrer Mutter um.
»Der Hund heißt Hermes«, sagte sie.
»Ja?«
»Er gehört einem Mann namens Alberto.«
»Aha.«
»Er wohnt unten in der Altstadt.«
»Bist du so weit hinter dem Hund hergelaufen?«
»Aber das ist doch nicht weiter gefährlich.«
»Du hast gesagt, der Hund wäre schon oft hier gewesen.«
»Ach, wirklich?«
Jetzt musste Sofie überlegen. Sie wollte so viel wie möglich erzählen, aber alles ging eben doch nicht.
»Du bist ja fast nie zu Hause«, begann sie.
»Nein, ich habe zu viel zu tun.«
»Alberto und Hermes sind schon sehr oft hier gewesen.«
»Aber warum? Waren sie auch im Haus?«
»Kannst du nicht wenigstens eine Frage nach der anderen stellen? Sie waren nicht im Haus. Aber sie gehen oft im Wald spazieren. Findest du das sehr geheimnisvoll?«
»Nein, das ist kein bisschen geheimnisvoll.«
»Wie alle anderen kommen sie beim Spazierengehen an unserem Tor vorbei. Einmal, als ich aus der Schule kam, schnüffelte Hermes hier herum. Auf diese Weise habe ich Alberto kennen gelernt.«
»Was ist mit dem weißen Kaninchen und allem anderen?«
»Das hat Alberto gesagt. Er ist nämlich ein echter Philosoph. Er hat mir von den Philosophen erzählt.«
»So über den Gartenzaun hinweg?«
»Nein, wir haben uns natürlich hingesetzt. Aber er hat mir auch Briefe geschrieben, sogar ziemlich viele. Manchmal sind die Briefe mit der Post gekommen, manchmal hat er sie beim Spazierengehen einfach in unseren Briefkasten gesteckt.«
»Das waren also die ›Liebesbriefe‹, von denen wir geredet haben?«
»Nur dass es keine Liebesbriefe waren.«
»Er hat nur über Philosophen geschrieben?«
»Ja, stell dir vor. Und ich habe schon mehr von ihm gelernt als in acht Jahren
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