Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
einen Garten mit Palmen und Apfelsinenbäumen.
Sofie bückte sich und hob die Karte auf. Gleichzeitig begann Hermes zu knurren. Es schien ihm nicht zu gefallen, dass Sofie die Karte anfasste.
Auf der Karte stand:
Liebe Hilde! Das Leben besteht aus einer einzigen langen Kette von Zufällen. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass der Zehner, den du verloren hast, gerade hier gelandet ist. Vielleicht hat eine alte Dame, die auf den Bus nach Kristiansand wartete, ihn auf dem Marktplatz in Lillesand gefunden. Von Kristiansand ist sie dann mit dem Zug weitergefahren, um ihre Enkelkinder zu besuchen, und viele, viele Stunden später kann sie hier den Zehner verloren haben. Weiter ist es möglich, dass dieser Zehner später am Tag von einem Mädchen aufgehoben wurde, das dringend zehn Kronen brauchte, um mit dem Bus nach Hause fahren zu können. Man kann nie wissen, Hilde, aber wenn es wirklich so ist, dann müssen wir uns in der Tat fragen, ob nicht irgendeine göttliche Vorsehung hinter allem steckt.
Grüße von Papa, der im Geiste schon auf dem Steg in Lillesand sitzt
PS. Ich habe ja geschrieben, dass ich dir bei der Suche nach dem Zehner helfen wollte.
Als Adresse stand auf der Karte: »Hilde Møller Knag, c/o eine zufällige Passantin ...« Die Karte war am 15. Juni abgestempelt.
Sofie lief hinter Hermes die vielen Treppen hoch. Als Alberto aufmachte, sagte sie:
»Aus dem Weg, Alter. Hier kommt die Post!«
Sie glaubte, gerade im Moment einen guten Grund dafür zu haben, ein bisschen vergrätzt zu sein.
Er ließ sie herein. Hermes legte sich wie letztes Mal unter die Garderobe.
»Hat der Major eine neue Visitenkarte hinterlegt, mein Kind?«
Sofie sah zu Alberto hoch. Erst jetzt entdeckte sie, dass er ein neues Kostüm angelegt hatte.
Als Erstes bemerkte sie eine lange lockige Perücke. Außerdem trug er einen weiten, ausgebeulten Anzug mit vielen Spitzen. Um den Hals trug er einen geckenhaften Seidenschal und über dem Anzug einen roten Umhang. An den Beinen trug er weiße Strümpfe und an den Füßen dünne Lackschuhe mit Schleifen. Das ganze Kostüm erinnerte Sofie an Bilder vom Hofe Ludwigs XIV.
»Du Dussel«, sagte sie und reichte ihm die Karte.
»Hm ... und hast du wirklich einen Zehner genau an der Stelle gefunden, wo heute die Karte lag?«
»Genau da.«
»Der wird auch immer frecher und frecher. Aber das ist vielleicht nur gut.«
»Warum das?«
»Dann wird es auch leichter, ihn zu entlarven. Aber dieses Arrangement ist wirklich protzig und widerlich. Ich finde, es stinkt nach billigem Parfüm.«
»Parfüm?«
»Es wirkt unbestreitbar elegant, aber es ist alles bloß Jux. Siehst du, wie er sich gestattet, seine miesen Überwachungsmethoden mit der göttlichen Vorsehung zu vergleichen?«
Er zeigte auf die Karte. Und dann zerriss er sie genau wie die letzte in Fetzen. Um seine Stimmung nicht noch mehr zu verderben, verschwieg Sofie die Karte, die sie in der Schule in ihrem Aufsatzheft gefunden hatte.
»Wir setzen uns ins Wohnzimmer, liebe Schülerin. Wie spät ist es?«
»Vier.«
»Heute wollen wir über das 17. Jahrhundert sprechen.«
Sie gingen in das Zimmer mit der schrägen Decke und der Dachluke. Sofie bemerkte, dass Alberto seit dem letzten Mal einige Gegenstände ausgetauscht hatte.
Auf dem Tisch stand eine alte Schatulle mit einer richtigen kleinen Sammlung verschiedener Brillengläser. Daneben lag ein aufgeschlagenes Buch. Es war sehr alt.
»Was ist das?«, fragte Sofie.
»Das ist eine Erstausgabe von René Descartes’ berühmtem Buch ›Abhandlung über die Methode‹. Es stammt aus dem Jahr 1637 und gehört zu meinen allerliebsten Besitztümern.«
»Und die Schatulle ...«
»... enthält eine exklusive Sammlung von Linsen – oder optischen Gläsern. Sie wurden irgendwann um die Mitte des 17. Jahrhunderts vom niederländischen Philosophen Spinoza geschliffen. Sie haben mich sehr viel gekostet, aber auch sie gehören zu meinen allerkostbarsten Kleinodien.«
»Ich würde sicher besser verstehen, wie wertvoll das Buch und die Schatulle sind, wenn ich etwas über Descartes und Spinoza wüsste.«
»Natürlich. Aber wir wollen erst versuchen, uns etwas in ihre Zeit einzuleben. Setzen wir uns.«
Und sie setzten sich wie beim letzten Mal, Sofie in einen tiefen Sessel und Alberto Knox aufs Sofa. Zwischen ihnen stand der Tisch mit dem Buch und der Schatulle. Als sie saßen, nahm Alberto die Perücke ab und legte sie auf den Sekretär.
»Wir werden jetzt über das 17.
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