Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
mit einem »gepflegten schwarzen Bart« und blauer Baskenmütze.
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Hilde!«
»Mmm ...«
»Ja, aber, Hilde?«
»Stell es einfach hin.«
»Willst du nicht ...«
»Du siehst doch, dass ich beschäftigt bin.«
»Dass du wirklich schon fünfzehn bist!«
»Warst du schon mal in Athen, Mama?«
»Nein, wieso denn?«
»Es ist doch ziemlich seltsam, dass die alten Tempel immer noch dort stehen. Sie sind zweitausendfünfhundert Jahre alt. Der größte heißt übrigens ›Jungfrauenwohnung‹.«
»Hast du Papas Paket aufgemacht?«
»Was für ein Paket?«
»Jetzt sieh mich endlich an, Hilde! Du bist ja total verstört!«
Hilde ließ den großen Ordner auf ihre Knie sinken.
Ihre Mutter beugte sich über das Bett. Auf dem Tablett gab es Kerzen, Brötchen und Orangenlimonade. Auf dem Tablett lag auch ein Päckchen. Aber die Mutter hatte nur zwei Hände, und deshalb hatte sie sich die norwegische Flagge unter den Arm geklemmt.
»Tausend Dank, Mama. Das ist schrecklich lieb, aber verstehst du, ich habe wirklich keine Zeit.«
»Du brauchst doch erst um eins in der Kirche zu sein.«
Erst jetzt ging Hilde richtig auf, wo sie war, und erst jetzt stellte ihre Mutter das Tablett auf den Nachttisch.
»Entschuldige bitte. Ich war so vertieft in das hier.«
Hilde zeigte auf den Ordner und fuhr fort:
»Das ist von Papa ...«
»Aber was hat er denn bloß geschrieben, Hilde? Ich bin mindestens so gespannt wie du. Seit vielen Monaten ist ja kein vernünftiges Wort mehr aus ihm herauszubringen.«
Aus irgendeinem Grund hatte Hilde plötzlich Hemmungen.
»Ach, das ist bloß eine Geschichte.«
»Eine Geschichte?«
»Ja, eine Geschichte. Und dazu ein Philosophiebuch. So in etwa.«
»Willst du mein Päckchen nicht aufmachen?«
Hilde glaubte, keinen Unterschied zwischen den Geschenken machen zu dürfen, und deshalb öffnete sie auch das von ihrer Mutter. Es war ein Goldarmband.
»Wie schön! Tausend Dank!«
Sie sprang auf und gab ihrer Mutter einen Kuss.
Dann plauderten sie eine Weile.
»Jetzt musst du aber gehen«, sagte Hilde dann. »Er steht gerade hoch oben auf der Akropolis, verstehst du?«
»Wer denn?«
»Tja, ich habe keine Ahnung und Sofie auch nicht. Darum geht es doch gerade.«
»Naja, ich muss sowieso ins Büro. Du musst bald etwas essen. Dein Kleid hängt unten.«
Endlich verschwand die Mutter wieder. Und das machte auch Sofies Philosophielehrer; er ging die Treppe vor der Akropolis hinunter und kletterte auf die Areopag-Anhöhe, um dann kurz darauf auf dem alten Marktplatz von Athen aufzutauchen. Hilde fuhr zusammen, als sie las, wie die alten Gebäude sich plötzlich aus den Ruinen erhoben. Es war eine fixe Idee ihres Vaters, dass alle Länder der UNO gemeinsam eine wahrheitsgetreue Kopie des alten Marktplatzes von Athen aufbauen sollten. Hier könnte dann an philosophischen Fragen und Abrüstungsmöglichkeiten gearbeitet werden. Ein solches Riesenprojekt würde die Menschheit zusammenschweißen, meinte er. »Wir können doch auch Bohrinseln und Mondlandungsfahrzeuge bauen.«
Dann las sie über Platon. »Auf den Fittichen der Liebe möchte die Seele ›heim‹ in die Ideenwelt fliegen. Sie möchte aus dem ›Kerker des Körpers‹ befreit werden ...«
Sofie hatte sich durch die Hecke geschlichen und war Hermes gefolgt, hatte ihn dann aber aus den Augen verloren. Nachdem sie über Platon gelesen hatte, ging sie tiefer in den Wald hinein und kam zu einer roten Hütte an einem kleinen See. Dort hing ein Bild von Bjerkely. Aus der Beschreibung ging ganz klar hervor, dass es sich um Hildes Bjerkely handeln musste. Und dort hing auch ein Bild von einem Mann namens Berkeley. »Berkeley und Bjerkely. War das nicht seltsam?«
Hilde legte den großen Ordner aufs Bett, ging zum Bücherregal und schlug im dreibändigen Lexikon nach, das sie zum vierzehnten Geburtstag bekommen hatte. Berkeley ... da!
Berkeley, George, 1685–1753, angels. Philosoph, Bischof von Cloyne. Leugnet die Existenz einer materiellen Welt außerhalb des menschlichen Bewusstseins. Unsere sinnlichen Empfindungen sind von Gott hervorgerufen. B. ist außerdem berühmt für seine Kritik der abstrakten Allgemeinvorstellungen. Hauptwerk: A Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge (1710).
Doch, das war seltsam. Hilde blieb einige Sekunden stehen und dachte nach, ehe sie zu Bett und Ordner zurückkehrte.
Irgendwie war es ja ihr Vater, der diese beiden Bilder aufgehängt hatte. Ob es neben der
Weitere Kostenlose Bücher