Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
auch an den anderen Tagen gemacht hatte.
Das Projekt der Philosophen
Da bist du wieder! Wir machen uns am besten gleich an die heutige Lektion, ohne den Umweg über weiße Kaninchen oder Ähnliches.
Ich werde dir in groben Zügen erzählen, wie die Menschen von der Antike bis heute über philosophische Fragen gedacht haben. Alles schön der Reihe nach.
Da die meisten Philosophen in einer anderen Zeit lebten – und vielleicht auch in einer ganz anderen Kultur als wir –, lohnt es sich oft, sich nach dem Projekt des jeweiligen Philosophen zu fragen. Damit meine ich, dass wir versuchen müssen, zu erfassen, was gerade diesen Philosophen besonders beschäftigt hat. Ein Philosoph kann sich fragen, wie Pflanzen und Tiere entstanden sind. Ein anderer kann herausfinden wollen, ob es einen Gott gibt, oder ob die Menschen eine unsterbliche Seele haben.
Wenn wir erst einmal festgestellt haben, was das Projekt eines bestimmten Philosophen ist, können wir seinem Denken leichter folgen. Denn kaum ein Philosoph beschäftigt sich mit allen philosophischen Fragen.
Jetzt habe ich von »seinem« Denken gesprochen – in Bezug auf den Philosophen, meine ich. Denn auch die Geschichte der Philosophie ist von Männern geprägt. Und zwar, weil die Frau sowohl als Geschlecht wie auch als denkendes Wesen die ganze Menschheitsgeschichte hindurch unterdrückt war. Das ist schlimm, denn auf diese Weise sind viele wichtige Erfahrungen verloren gegangen. Erst in unserem Jahrhundert treten die Frauen wirklich in die Geschichte der Philosophie ein.
Ich werde dir keine Hausaufgaben aufgeben – jedenfalls keine komplizierten Mathe-Aufgaben. Aber ab und zu werde ich dir eine kleine Übungsaufgabe stellen.
Wenn du diese Bedingungen akzeptierst, kann’s losgehn.
Die Naturphilosophen
Die ersten griechischen Philosophen werden oft als »Naturphilosophen« bezeichnet, weil sie sich vor allem für die Natur und Naturprozesse interessierten.
Wir haben uns schon gefragt, woher alles stammt. Viele Menschen heutzutage glauben mehr oder weniger, dass alles irgendwann aus nichts entstanden sein muss. Dieser Gedanke war bei den Griechen nicht sehr verbreitet. Aus irgendeinem Grunde gingen sie davon aus, dass es »etwas« immer gegeben hatte.
Wie alles aus nichts entstehen konnte, war also nicht die große Frage. Statt dessen wunderten die Griechen sich darüber, wie Wasser zu lebendigen Fischen und leblose Erde zu hohen Bäumen oder farbenprächtigen Blumen werden konnte. Ganz zu schweigen davon, wie ein kleines Kind im Mutterleib entstehen kann!
Die Philosophen sahen mit eigenen Augen, wie in der Natur ständig Veränderungen stattfinden. Aber wie waren solche Veränderungen möglich? Wie konnte etwas aus einem Stoff in etwas ganz anderes übergehen – in lebendiges Leben, zum Beispiel?
Gemeinsam war den ersten Philosophen, dass sie glaubten, ein bestimmter Urstoff stecke hinter allen Veränderungen. Wie sie auf diesen Gedanken gekommen waren, lässt sich nicht so leicht sagen. Wir wissen nur, dass er aus einer Vorstellung erwuchs, dass es einen Urstoff geben musste, der hinter allen Veränderungen in der Natur gewissermaßen auf der Lauer lag.
Das Interessanteste für uns ist nicht, welche Antworten diese ersten Philosophen fanden. Das Interessante ist, welche Fragen sie stellten und nach welcher Art von Antworten sie suchten. Für uns ist wichtiger, wie sie gedacht, als was sie nun genau gedacht haben.
Wir können feststellen, dass sie nach sichtbaren Veränderungen in der Natur fragten. Sie versuchten, einige ewige Naturgesetze herauszufinden. Sie wollten die Ereignisse in der Natur verstehen, ohne auf die überlieferten Mythen zurückzugreifen. Vor allem versuchten sie, die Naturprozesse durch die Beobachtung der Natur selber zu verstehen. Das ist etwas ganz anderes, als Blitz und Donner, Winter und Frühling durch den Hinweis auf Ereignisse in der Götterwelt zu erklären.
Auf diese Weise befreite die Philosophie sich von der Religion. Wir können sagen, dass die Naturphilosophen die ersten Schritte in Richtung einer wissenschaftlichen Denkweise machten. Damit gaben sie den Anstoß zu aller späteren Naturwissenschaft.
Das allermeiste, was die Naturphilosophen gesagt und geschrieben haben, ist für die Nachwelt verloren gegangen. Das meiste von dem wenigen, was wir wissen, finden wir in den Schriften des Aristoteles , der zweihundert Jahre nach den ersten Philosophen lebte. Aristoteles fasst aber nur die Ergebnisse zusammen, zu denen die
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