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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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ist.
    Parmenides war sich natürlich darüber im Klaren, dass in der Natur dauernd Veränderungen stattfinden. Mit den Sinnen registrierte er, wie sich die Dinge veränderten. Aber er konnte das nicht mit dem in Übereinstimmung bringen, was die Vernunft ihm erzählte. Wenn er aber zu einer Entscheidung gezwungen war, ob er den Sinnen oder der Vernunft vertrauen sollte, dann entschied er sich für die Vernunft.
    Wir kennen den Satz: »Das glaube ich erst, wenn ich es sehe.« Aber Parmenides glaubte es auch dann nicht. Er meinte, die Sinne vermittelten uns ein falsches Bild der Welt, ein Bild, das nicht mit dem übereinstimmt, was die Vernunft den Menschen sagt. Als Philosoph betrachtete er es als seine Aufgabe, alle Formen von »Sinnestäuschungen« zu entlarven.
    Dieser starke Glaube an die menschliche Vernunft wird als Rationalismus bezeichnet. Ein Rationalist ist ein Mensch, der großes Vertrauen zur menschlichen Vernunft als Quelle unseres Wissens über die Welt hat.
Alles fließt
    Zur gleichen Zeit wie Parmenides lebte Heraklit (ca. 540–480 v.Chr.) aus Ephesos in Kleinasien. Er hielt nun gerade die dauernden Veränderungen für den grundlegendsten Charakterzug der Natur. Wir können vielleicht sagen, dass Heraklit mehr als Parmenides darauf vertraute, was die Sinne ihm sagten.
    »Alles fließt«, meinte Heraklit. Alles ist in Bewegung und nichts währt ewig. Deshalb können wir »nicht zweimal in denselben Fluss steigen«. Denn wenn ich zum zweiten Mal in den Fluss steige, haben sowohl ich als auch der Fluss uns verändert.
    Heraklit wies ebenfalls darauf hin, dass die Welt von dauernden Gegensätzen geprägt ist. Wenn wir niemals krank wären, würden wir nicht begreifen, was Gesundheit bedeutet. Wenn wir niemals hungrig wären, hätten wir keine Freude am Sattsein. Wenn niemals Krieg wäre, wüssten wir den Frieden nicht zu schätzen, und wenn niemals Winter wäre, könnten wir nicht sehen, dass der Frühling kommt.
    Sowohl Gut als auch Böse haben einen notwendigen Platz in der Ganzheit, meinte Heraklit. Ohne das dauernde Spiel zwischen Gegensätzen würde die Welt aufhören.
    »Gott ist Tag und Nacht, Winter und Sommer, Krieg und Frieden, Sättigung und Hunger«, sagte er. Er verwendet hier das Wort »Gott«, aber natürlich meint er damit nicht die Götter, von denen die Mythen berichten. Für Heraklit ist Gott – oder das Göttliche – etwas, das die ganze Welt umfasst. Ja, Gott zeigt sich für ihn gerade in der sich dauernd verändernden und widerspruchsvollen Natur.
    Anstelle des Wortes »Gott« benutzt er oft das griechische Wort »logos«. Es bedeutet Vernunft. Auch wenn wir Menschen nicht immer gleich denken oder dieselbe Vernunft haben, meinte Heraklit, es müsse eine Art »Weltvernunft« geben, die alle Ereignisse in der Natur lenkt. Diese Weltvernunft – oder das »Weltgesetz« – ist allen gemeinsam, und alle Menschen müssen sich danach richten. Dennoch leben die meisten nach ihrer eigenen privaten Vernunft, meinte Heraklit. Er hielt überhaupt nicht allzu viel von seinen Mitmenschen. Die Ansichten der meisten Menschen waren ihm »Spiele von Kindern«.
    In allen Veränderungen und Gegensätzen der Natur sah Heraklit also eine Einheit oder Ganzheit. Dieses »Etwas«, das allem zugrunde liegt, nannte er »Gott« oder »Logos«.
Vier Grundstoffe
    Parmenides und Heraklit waren in gewisser Hinsicht totale Gegensätze. Die Vernunft des Parmenides stellte klar, dass sich nichts ändern kann. Aber die Sinneserfahrungen des Heraklit stellten ebenso klar, dass in der Natur dauernd Veränderungen stattfinden. Wer von beiden hatte Recht? Sollen wir uns auf das verlassen, was die Vernunft uns erzählt, oder sollen wir den Sinnen vertrauen?
    Sowohl Parmenides als auch Heraklit machen zwei Aussagen:
    Parmenides sagt:
    a) dass sich nichts verändern kann
    und
    b) dass die Sinneseindrücke deshalb unzuverlässig sein müssen.
    Heraklit dagegen sagt:
    a) dass sich alles verändert (»Alles fließt«)
    und
    b) dass die Sinneseindrücke zuverlässig sind.
    Größere Uneinigkeit kann doch zwischen Philosophen kaum herrschen! Aber wer von beiden hatte Recht? Schließlich sollte Empedokles (ca. 494–434 v. Chr.) den Weg aus dem Netz finden, in dem die Philosophie sich verheddert hatte. Er meinte, dass sowohl Parmenides als auch Heraklit mit einer Behauptung Recht hätten, sich in einem anderen Punkt aber auch beide irrten.
    Für Empedokles beruhte die große Uneinigkeit darauf, dass die Philosophen fast

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