Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
muss es ein schöner Traum sein, in dem du zu Rosinenbrötchen und Limonade und Geburtstagsgeschenken erwachst.«
Sie stellte das Tablett mit den Geschenken auf einen Stuhl und verschwand kurz aus dem Zimmer. Als sie zurückkam, brachte sie noch ein Tablett mit Rosinenbrötchen und Limonade. Sie stellte es ans Fußende von Sofies Bett.
Jetzt folgte ein normaler Geburtstagsmorgen mit Geschenkeauspacken und Erinnerungen bis zurück zu den ersten Wehen vor fünfzehn Jahren. Von ihrer Mutter bekam Sofie einen Tennisschläger. Sie hatte noch nie Tennis gespielt, aber nur zwei Minuten vom Kløverveien entfernt lag ein Tennisplatz. Ihr Vater schickte ihr eine Kombination aus Mini-Fernseher und UKW-Radio. Der Bildschirm war nicht größer als ein normales Foto. Dann gab es noch Geschenke von alten Tanten und Freunden der Familie.
Schließlich sagte die Mutter:
»Meinst du, ich sollte mir heute frei nehmen?«
»Nein, wieso denn?«
»Du warst gestern wirklich ziemlich verstört. Wenn das so weitergeht, finde ich, sollten wir uns einen Termin bei einem Psychologen geben lassen.«
»Das kannst du dir sparen.«
»War das nur das Unwetter – oder hat auch dieser Alberto etwas damit zu tun?«
»Und was ist mit dir? ›Was ist nur mit uns los, mein Kind?‹ hast du gefragt.«
»Ich dachte daran, dass du dich in der Stadt herumtreibst, um seltsame Leute zu treffen. Vielleicht ist das meine Schuld ...«
»Es ist niemandes ›Schuld‹, dass ich in meiner Freizeit einen Philosophiekurs mache. Geh du nur ins Büro. Wir sollen um zehn in der Schule sein. Heute werden nur die Zeugnisse ausgeteilt und dann machen wir es uns gemütlich.«
»Weißt du, was du für Noten bekommst?«
»Jedenfalls mehr Einser als im letzten Zeugnis.«
Kurz nachdem die Mutter gegangen war, klingelte das Telefon.
»Sofie Amundsen.«
»Hier ist Alberto.«
»Oh ...«
»Der Major hat gestern wirklich nicht an Pulver gespart.«
»Ich verstehe nicht, was du meinst.«
»Das Gewitter, Sofie.«
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll.«
»Das ist die erste Tugend einer echten Philosophin. Ich bin fast stolz, wie viel du in so kurzer Zeit gelernt hast.«
»Ich fürchte, dass nichts von allem wirklich ist.«
»Das nennt sich existenzielle Angst und ist in der Regel nur ein Übergang zu einer neuen Erkenntnis.«
»Ich glaub, ich brauche eine Pause im Kurs.«
»Gibt es in deinem Garten im Moment viele Frösche?«
Jetzt musste Sofie lachen. Alberto fuhr fort:
»Ich glaube, wir sollten lieber weitermachen. Herzlichen Glückwunsch, übrigens! Wir müssen bis zum Johannistag mit dem Kurs fertig sein. Das ist unsere letzte Hoffnung.«
»Unsere letzte Hoffnung auf was denn?«
»Sitzt du gut? Das geht nicht so schnell, verstehst du? – Du erinnerst dich an Descartes?«
» Ich denke, also bin ich. «
»Was unseren eigenen methodischen Zweifel angeht, stehen wir im Moment mit leeren Händen da. Wir wissen nicht einmal, ob wir denken. Vielleicht wird sich herausstellen, dass wir Gedanke sind und das ist wirklich etwas ganz anderes, als selber zu denken. Wir haben jedenfalls allen Grund zu der Annahme, dass Hildes Vater sich uns ausgedacht hat. Dass wir eine Art Geburtstagsunterhaltung für die Tochter des Majors in Lillesand darstellen. Kommst du noch mit?«
»Ja ...«
»Aber darin steckt auch ein Widerspruch. Wenn wir erfunden sind, dann haben wir nicht das Recht, überhaupt irgendetwas anzunehmen. Dann ist dieses ganze Telefongespräch die pure Einbildung.«
»Und wir haben nicht das kleinste Fitzchen freien Willen. Dann plant der Major alles, was wir sagen oder tun. Also könnten wir genauso gut auflegen.«
»Nein, jetzt vereinfachst du zu sehr.«
»Erklären!«
»Willst du behaupten, dass ein Mensch alles plant, was wir träumen? Es kann schon stimmen, dass Hildes Vater genau weiß , was wir alles tun. Seiner Allwissenheit zu entkommen, ist vielleicht genauso schwierig, wie vor unserem eigenen Schatten davonzulaufen. Aber – und an diesem Punkt habe ich angefangen, einen Plan auszuarbeiten – es steht nicht fest, dass der Major schon im Voraus alles beschlossen hat, was passieren wird. Vielleicht entscheidet er das erst in diesem Moment – zur Stunde also. Genau in solchen Momenten ist es denkbar, dass wir eine eigene Initiative haben, die das lenkt, was wir sagen und tun. Eine solche Initiative ist natürlich ein ungeheuer schwacher Impuls, verglichen mit dem gewaltigen Aufwand, den der Major betreibt. Wir sind vielleicht aufdringlichen
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