Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
Descartes inspirierend.«
    »Denn er hatte ja alles von Grund auf aufgebaut.«
    »Genau. Der Aufruhr gegen die alten Autoritäten wandte sich nicht zuletzt gegen die Macht von Kirche, König und Adel. Diese Institutionen waren im 18. Jahrhundert in Frankreich viel mächtiger als in England.«
    »Und dann kam die Revolution.«
    »Im Jahre 1789, ja. Aber die neuen Ideen kamen früher. Das nächste Stichwort ist Rationalismus .«
    »Ich dachte, der Rationalismus wäre mit Hume ausgestorben.«
    »Hume selber starb erst 1776. Das war an die zwanzig Jahre nach Montesquieu und nur zwei Jahre vor Voltaire und Rousseau, die beide 1778 starben. Jetzt erinnerst du dich vielleicht daran, dass Locke kein konsequenter Empiriker war. Er hielt zum Beispiel den Glauben an Gott und gewisse moralische Normen für Bestandteile der menschlichen Vernunft. Das ist auch der Kern der französischen Aufklärungsphilosophie.«
    »Du hast außerdem gesagt, die Franzosen seien immer etwas rationalistischer gewesen als die Briten.«
    »Und dieser Unterschied lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Wenn die Engländer von ›common sense‹ reden, dann sprechen die Franzosen gern von ›évidence‹. Der englische Ausdruck lässt sich übersetzen mit ›gesunder Menschenverstand‹, der französische mit ›Augenscheinlichkeit‹ – der ›common sense‹ sprach für die Vernunft, und dass es sie gab, war ›évident‹.«
    »Ich verstehe.«
    »Wie die Humanisten der Antike – wie Sokrates und die Stoiker – hatten die meisten Aufklärungsphilosophen einen unerschütterlichen Glauben an die menschliche Vernunft. Das war so auffällig, dass viele die französische Aufklärungszeit auch einfach als ›Rationalismus‹ bezeichnen. Die neue Naturwissenschaft hatte festgestellt, dass die Natur vernünftig eingerichtet war. Nun hielten es die Aufklärungsphilosophen für ihre Aufgabe, auch eine Grundlage für Moral, Ethik und Religion zu schaffen, die mit der unveränderlichen Vernunft der Menschen übereinstimmte. Und das führte zum eigentlichen Gedanken der Aufklärung .«
    »Unserem dritten Punkt.«
    »Zuerst, so sagte man, müssten die breiten Volksschichten ›aufgeklärt‹ werden. Das sei die absolute Grundbedingung einer besseren Gesellschaft. Im Volk aber herrschten Unwissenheit und Aberglauben. Der Erziehung wurde deshalb große Aufmerksamkeit gewidmet. Es ist kein Zufall, dass die Pädagogik als Wissenschaft in der Aufklärungszeit begründet wurde.«
    »Das Schulwesen stammt also aus dem Mittelalter und die Pädagogik aus der Aufklärung.«
    »So kannst du das ausdrücken. Das große Denkmal der Aufklärung ist typischerweise ein Lexikon. Ich denke an die so genannte Enzyklopädie , die zwischen 1751 und 1772 in achtundzwanzig Bänden mit Beiträgen aller großen Aufklärungsphilosophen erschien. ›Hier gibt es alles‹, hieß es, ›von der Nadelherstellung bis zum Kanonenguss.‹«
    »Der nächste Punkt heißt Kulturoptimismus .«
    »Kannst du bitte die Karte weglegen, während ich rede?«
    »Entschuldigung.«
    »Wenn Vernunft und Wissen sich erst ausgebreitet hätten, meinten die Aufklärungsphilosophen, dann würde die Menschheit große Fortschritte machen. Es war nur eine Frage der Zeit, dann würden Unvernunft und Unwissen verschwunden und eine aufgeklärte Menschheit da sein. Dieser Gedanke hatte in Westeuropa bis vor einigen Jahrzehnten fast schon ein Monopol. Heute sind wir nicht mehr so sehr davon überzeugt, dass immer mehr Wissen zu immer besseren Zuständen in der Welt führt. Diese Kritik der ›Zivilisation‹ wurde allerdings auch schon von den französischen Aufklärungsphilosophen selber vorgebracht.«
    »Dann hätten wir vielleicht auf sie hören sollen.«
    »›Zurück zur Natur!‹ hieß die Losung der Zivilisationskritik. Aber unter Natur verstanden die Aufklärungsphilosophen fast dasselbe wie unter Vernunft. Denn die Vernunft ist dem Menschen ja von der Natur gegeben – im Gegensatz zur Kirche etwa oder zur Zivilisation. Es wurde betont, dass ›Naturvölker‹ oft gesünder und glücklicher lebten als die Europäer, eben weil sie keine Zivilisation hätten. Das Schlagwort ›Zurück zur Natur!‹ stammt von Jean-Jacques Rousseau . Er erklärte, die Natur sei gut und deshalb auch der Mensch ›von Natur aus‹. Alles Übel liege in der zivilisierten Gesellschaft, die den Menschen von seiner Natur entferne. Darum wollte Rousseau auch die Kinder so lange wie möglich in ihrem ›natürlichen‹ Zustand

Weitere Kostenlose Bücher