Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
Äußerlichkeiten wie sprechenden Hunden, Propellerflugzeugen mit Glückwunschbannern, Bananennachrichten und bestellten Gewittern gegenüber wehrlos. Aber wir dürfen doch nicht ausschließen, dass wir unseren eigenen schwachen Gegenwillen haben.«
»Wie könnte das denn möglich sein?«
»Der Major ist in unserer kleinen Welt natürlich allwissend, aber das heißt nicht, dass er auch allmächtig ist. Wir müssen jedenfalls versuchen, unser Leben so zu leben, als ob er das nicht wäre.«
»Ich glaube, ich verstehe, was du meinst.«
»Das Kunststück wäre, wenn wir heimlich etwas auf eigene Faust schaffen würden – und zwar etwas, das der Major nicht einmal entdecken kann.«
»Aber wie sollte das möglich sein, wenn wir doch nicht existieren?«
»Wer behauptet, dass wir nicht existieren? Die Frage ist nicht, ob es uns gibt, sondern was wir sind und wer wir sind. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass wir nur Impulse im gespaltenen Bewusstsein des Majors sind, nimmt uns das nicht unser Stückchen Existenz.«
»Und auch nicht unseren freien Willen?«
»Ich arbeite an dem Fall, Sofie.«
»Aber Hildes Vater ist doch sicher nur zu bewusst, dass du ›an dem Fall arbeitest‹.«
»Das ganz bestimmt. Aber er kennt meinen Plan nicht. Ich versuche, einen archimedischen Punkt zu finden.«
»Einen archimedischen Punkt?«
» Archimedes war ein hellenistischer Wissenschaftler. ›Gib mir einen festen Punkt‹, sagte er, ›und ich werde die Erde bewegen.‹ So einen Punkt müssen wir finden, um aus dem inneren Universum des Majors geschleudert zu werden.«
»Das ist aber eine ganz schöne Aufgabe.«
»Stimmt. Und wir können erst entwischen, wenn wir den Philosophiekurs beendet haben. Bis dahin hat er uns in allzu festem Griff. Er hat offenbar beschlossen, dass ich dich durch die Jahrhunderte bis in unsere Zeit führen soll. Aber wir haben nur noch wenige Tage, dann setzt er sich irgendwo im Nahen Osten in ein Flugzeug. Wenn wir uns nicht aus seiner Phantasie befreit haben, ehe er in Bjerkely ankommt, ja, dann sind wir verloren.«
»Du machst mir Angst ...«
»Zuerst muss ich dir das Notwendigste über die französische Aufklärung erzählen. Dann müssen wir in groben Zügen Kants Philosophie durchgehen, ehe wir uns der Romantik nähern können. Und gerade für uns beide ist Hegel eine wichtige Hilfe. Behandeln wir ihn, kommen wir auch nicht an Kierkegaards empörter Abrechnung mit der Hegelianischen Philosophie vorbei. Wir müssen ein paar Worte über Marx, Darwin und Freud sagen. Wenn wir dann noch ein paar abschließende Bemerkungen über Sartre und den Existenzialismus schaffen, lässt sich unser Plan in die Tat umsetzen.«
»Das ist aber ganz schön viel für eine Woche.«
»Deshalb müssen wir sofort anfangen. Kannst du jetzt kommen?«
»Ich muss in die Schule. Wir haben eine kleine Feier in der Klasse und dann gibt’s Zeugnisse.«
»Vergiss die Feier! Wenn wir pures Bewusstsein sind, ist es auch bloß Einbildung, dass Limonade und Süßigkeiten gut schmecken.«
»Aber das Zeugnis ...«
»Sofie, entweder lebst du in einem wunderbaren Universum auf einem winzigen Fussel von einem Planeten in einer von Hunderten von Milliarden Galaxien – oder du bist einfach nur eine Hand voll elektromagnetischer Impulse im Bewusstsein eines Majors. Und angesichts dieser Situation redest du von einem Zeugnis! Du solltest dich schämen!«
»Tut mir Leid.«
»Aber du kannst trotzdem mal kurz in der Schule vorbeigehen, ehe du zu mir kommst. Es könnte einen schlechten Einfluss auf Hilde haben, wenn du den letzten Schultag schwänzt. Sie geht sicher selbst an ihrem Geburtstag in die Schule, sie ist ja schließlich ein Engel.«
»Dann komme ich gleich nach der Schule.«
»Wir können uns in der Majorshütte treffen.«
»In der Majorshütte?«
»... klick!«
Hilde ließ den Ordner auf ihre Knie sinken. Jetzt hatte ihr Vater ihr doch tatsächlich ein bisschen ein schlechtes Gewissen gemacht, weil sie den letzten Schultag geschwänzt hatte. Dieser Mistkerl!
Sie blieb einen Moment sitzen und fragte sich, was Alberto wohl für einen Plan aushecken würde. Ob sie auf der letzten Seite im Ordner nachsehen sollte? Nein, das wäre gepfuscht; sie wollte sich lieber mit dem Weiterlesen beeilen.
Sie war überzeugt davon, dass Alberto in einem wesentlichen Punkt Recht hatte. Es war eine Sache, dass ihr Vater den Überblick darüber hatte, was mit Sofie und Alberto passierte. Aber während er schrieb, wusste er sicher
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