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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Geburtstag, Hilde!«
    »Ach, ich weiß nicht, ob ich noch mehr Glückwünsche vertragen kann.«
    »Aber ich habe doch nicht ... ich mache nur ein kleines Nickerchen, dann koche ich uns ein spannendes Festmahl. Ich habe Erdbeeren gekauft.«
    »Ich lese.«
    Wieder verschwand die Mutter und Hilde las weiter. Sofie ging mit Hermes durch die Stadt. In Albertos Treppenhaus fand sie wieder eine Karte aus dem Libanon. Auch die war am 15.6. abgestempelt.
    Erst jetzt begriff sie das System der ganzen Daten: Die Karten, die vor dem 15. Juni datiert waren, waren »Kopien« von Karten, die Hilde schon bekommen hatte. Die, die am 15. Juni datiert waren, bekam sie erst jetzt durch den Ordner.
    Liebe Hilde! Jetzt betritt Sofie das Haus des Philosophielehrers. Sie wird bald fünfzehn, während dein Geburtstag vielleicht schon gestern war. Oder heute, Hildchen? Wenn es heute ist, dürfte es wenigstens nicht zu spät sein. Aber unsere Uhren gehen nicht immer gleich ...
    Hilde las, wie Alberto Sofie über die Renaissance und die neue Wissenschaft, über die Rationalisten des 17. Jahrhunderts und den englischen Empirismus erzählte.
    Mehrmals fuhr sie zusammen, wenn neue Postkarten und Glückwünsche eintrafen, die ihr Vater in den Ordner geklebt hatte. Solche Mitteilungen ließ er aus einem Aufsatzheft fallen, auf der Innenseite einer Bananenschale auftauchen und sich sogar in einen Computer einschleichen. Ohne die geringste Anstrengung konnte er Alberto dazu bringen sich zu »versprechen« und Sofie Hilde zu nennen. Aber der Gipfel von allem war vielleicht, dass er Hermes sagen ließ: »Herzlichen Glückwunsch, Hilde!«
    Hilde stimmte Alberto zu, dass ihr Vater ein wenig zu weit ging, wenn er sich mit Gott und der göttlichen Vorsehung verglich. Aber wem stimmte sie denn da überhaupt zu? Ihr Vater hatte diese vorwurfsvollen – oder selbstkritischen – Worte doch schließlich Alberto in den Mund gelegt! Sie erkannte, dass der Vergleich mit Gott vielleicht doch nicht so dumm war. Ihr Vater war für Sofies Welt ja eine Art allmächtiger Gott.
    Als Alberto von Berkeley erzählen wollte, war Hilde mindestens so gespannt wie Sofie. Was würde jetzt passieren? Es zeichnete sich ja schon lange ab, dass etwas ganz Besonderes passieren würde, wenn dieser Philosoph an die Reihe kam, der die Existenz einer materiellen Welt außerhalb des menschlichen Bewusstseins geleugnet hatte. Hilde hatte schließlich im Lexikon nachgesehen.
    Es fing damit an, dass sie am Fenster standen und zusahen, wie Hildes Vater ein Flugzeug mit einem langen Glückwunschbanner vorbeischickte. Gleichzeitig wälzten sich dunkle Wolken auf die Stadt zu.
    »Sein oder Nichtsein« ist also nicht die ganze Frage. Die Frage ist auch, was wir sind. Sind wir wirkliche Menschen aus Fleisch und Blut? Besteht unsere Welt aus wirklichen Dingen – oder sind wir nur von Bewusstsein umgeben?
    Kein Wunder, dass Sofie das Nägelkauen anfing. Hilde hatte diese Unart nie gehabt, aber auch sie war jetzt nervlich ganz schön zu Fuß.
    Und dann kam der Tag, an dem Alberto sagte, der Wille oder Geist, der alles bewirke, könne für ihn und Sofie auch Hildes Vater sein.
    »Du meinst, dass er für uns wie eine Art Gott gewesen ist?«
    »Ohne rot zu werden, ja. Aber er sollte sich schämen!«
    »Was ist mit Hilde selber?«
    »Sie ist ein Engel, Sofie.«
    »Ein Engel?«
    »Hilde ist die, an die dieser ›Geist‹ sich wendet.«
    Worauf Sofie in den Regen hinausstürzte. – Es konnte doch nie im Leben dasselbe Unwetter sein, das letzte Nacht über Bjerkely losgebrochen war – einige Stunden, nachdem Sofie durch die Stadt gerannt war?
    Morgen habe ich Geburtstag, dachte sie. Und war es nicht extrabitter, einen Tag vor dem 15. Geburtstag einsehen zu müssen, dass das Leben ein Traum ist? Genauso gut könnte sie träumen, eine Million gewonnen zu haben, und, kurz bevor der große Gewinn ausgezahlt wird, begreifen, dass alles nur ein Traum gewesen war.
    Sofie rannte über den nassen Sportplatz. Und nun sah sie, dass ein Mensch auf sie zugelaufen kam. Es war ihre Mutter. Wütende Blitze zerrissen den Himmel.
    Mutter nahm Sofie in den Arm.
    »Was ist nur mit uns los, mein Kind?«
    »Ich weiß nicht«, weinte Sofie. »Es ist wie ein böser Traum.«
    Hilde spürte, dass ihre Augenwinkel feucht geworden waren. »To be, or not to be – that is the question.«
    Sie warf den Ordner aufs Bett und sprang auf. Sie lief im Zimmer hin und her, hin und her. Am Ende stellte sie sich vor den Messingspiegel und

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