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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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der Unschuld leben lassen. Du kannst sagen, dass die Vorstellung von einem eigenen Wert der Kindheit aus der Aufklärungszeit stammt. Davor wurde die Kindheit eher als Vorbereitung auf das Erwachsenenleben betrachtet. Aber wir sind ja Menschen und leben unser Leben auf der Erde auch schon als Kinder.«
    »Das möchte ich meinen.«
    »Und zuletzt ging es den Aufklärungsphilosophen um eine ›natürliche‹ Religion.«
    »Was meinten sie damit?«
    »Auch die Religion musste mit der ›natürlichen Vernunft‹ der Menschen in Übereinstimmung gebracht werden. Viele kämpften für das, was wir als ein humanistisches Christentum bezeichnen können, und das ist der sechste Punkt auf der Liste. Es gab selbstverständlich auch konsequente Materialisten, die an keinen Gott glaubten und sich also zu einem atheistischen Standpunkt bekannten. Aber die meisten Aufklärungsphilosophen hielten es für unvernünftig, sich eine Welt ohne Gott vorzustellen. Dazu war ihnen die Welt zu vernünftig eingerichtet. Dieselbe Ansicht hatte zum Beispiel auch Newton vertreten. Ebenso wurde der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele als vernünftig betrachtet. Wie für Descartes, war für die Philosophen der Aufklärung die Frage, ob der Mensch eine unsterbliche Seele hat, eher eine Frage der Vernunft als des Glaubens.«
    »Gerade das wundert mich ein bisschen. Für mich ist das ein typisches Beispiel für das, was man nur glauben, aber nicht wissen kann.«
    »Du lebst ja auch nicht im 18. Jahrhundert. Wovon die Aufklärungsphilosophen das Christentum befreien wollten, waren die vielen unvernünftigen Dogmen oder Glaubenssätze, die im Laufe der Kirchengeschichte auf Jesu schlichte Verkündigung aufgepfropft worden waren.«
    »Dann verstehe ich sie.«
    »Viele schworen auch auf den so genannten Deismus .«
    »Erklärung, bitte!«
    »Unter ›Deismus‹ verstehen wir eine Auffassung, nach der Gott vor langer, langer Zeit die Welt geschaffen hat, nach der er sich dieser Welt aber nicht offenbart. Auf diese Weise wird Gott zu einem höchsten Wesen, das sich den Menschen nur durch die Natur und ihre Gesetze zu erkennen gibt – das sich aber nicht auf übernatürliche Weise offenbart. Solch ein ›philosophischer Gott‹ begegnete uns ja schon bei Aristoteles. Für ihn war Gott die erste Ursache oder der erste Beweger des Universums.«
    »Jetzt bleibt uns nur noch ein Punkt, nämlich die Menschenrechte .«
    »Aber der ist zum Ausgleich vielleicht der wichtigste. Du kannst überhaupt sagen, dass die französische Aufklärungsphilosophie praktischer ausgerichtet war als die englische.«
    »Sie haben die Konsequenzen aus ihrer Philosophie gezogen und entsprechend gehandelt?«
    »Ja, die französischen Aufklärungsphilosophen haben sich nicht mit theoretischen Ansichten über den Platz des Menschen in der Gesellschaft begnügt. Sie kämpften aktiv für das, was sie als die ›natürlichen Rechte‹ der Bürger bezeichneten. Vor allem ging es um den Kampf gegen die Zensur – also für die Pressefreiheit. In Bezug auf Religion, Moral und Politik musste dem Einzelnen das Recht gesichert werden, frei zu denken und seine Ansichten auch zum Ausdruck zu bringen. Außerdem wurde gegen die Sklaverei und für eine humanere Behandlung von Gesetzesbrechern gekämpft.«
    »Ich glaube, ich könnte fast allem zustimmen.«
    »Das Prinzip der ›Unverletzlichkeit des Einzelnen‹ schlug sich schließlich in der ›Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte‹ nieder, die im Jahre 1789 von der französischen Nationalversammlung verabschiedet wurde. Diese Erklärung der Menschenrechte war eine wichtige Grundlage für unsere eigene norwegische Verfassung von 1814.«
    »Aber noch immer müssen viele Menschen für diese Rechte kämpfen.«
    »Ja, leider. Aber die Aufklärungsphilosophen wollten bestimmte Gesetze festlegen, die alle Menschen einfach deshalb haben, weil sie als Menschen geboren sind. Das verstanden sie unter ›natürlichen‹ Rechten. Wir sprechen immer noch vom ›Naturrecht‹, das den offiziellen Gesetzen irgendeines Landes durchaus widersprechen kann. Noch immer erleben wir, dass sich Einzelindividuen – oder ganze Bevölkerungsgruppen – auf diese ›natürlichen Rechte‹ berufen, wenn sie sich gegen Rechtlosigkeit, Unfreiheit und Unterdrückung wehren.«
    »Wie sah es mit den Rechten der Frau aus?«
    »Die Revolution von 1789 erklärte eine Reihe von Rechten, die für alle Bürger gelten sollten. Aber als Bürger galten im Grunde nur Männer.

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