Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
mir jedes einzelne Wort genau überlegen.«
»Deinen unbewussten Impulsen wirst du trotzdem nicht entkommen können. Die Kunst ist gerade, sich nicht allzu sehr dabei anzustrengen, wenn wir unbehagliche Dinge ins Unterbewusstsein abdrängen. Das ist so, als wenn du das Loch einer Wühlmaus dichtmachen wolltest. Das kann dir gelingen, aber du kannst auch sicher sein, dass die Wühlmaus irgendwo anders im Garten wieder auftaucht. Am gesündesten ist es, die Tür zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein nur angelehnt zu lassen.«
»Wenn wir die Tür zuschließen, können wir uns psychische Leiden zuziehen?«
»Ja. Ein Neurotiker verwendet ja gerade zu viel Energie auf den Versuch, das Unbehagliche aus seinem Bewusstsein zu verbannen. Oft muss so jemand dabei ganz bestimmte Erlebnisse verdrängen. Das sind die ›traumatischen Erlebnisse‹, von denen ich vorhin ein bisschen zu früh angefangen habe. Freud nennt sie auch Traumata . Das Wort ›Trauma‹ ist Griechisch und bedeutet ›Wunde‹.«
»Ich verstehe.«
»Bei seiner Behandlung versuchte Freud, die verschlossene Tür vorsichtig zu öffnen – oder vielleicht eine neue Tür aufzumachen. Durch die Zusammenarbeit mit dem Patienten versuchte er, die verdrängten Erlebnisse wieder hervorzuholen. Dem Patienten ist ja nicht bewusst, dass er verdrängt. Dennoch kann er sich wünschen, dass der Arzt – oder Analytiker , wie man in der Psychoanalyse sagt – ihm hilft, den Weg zu den versteckten Traumata zu finden.«
»Wie geht der Arzt dabei vor?«
»Freud nannte das die Technik der freien Assoziation . Das heißt, dass er den Patienten ganz entspannt daliegen und nur darüber reden ließ, was ihm gerade einfiel – egal wie unwesentlich, zufällig, unbehaglich oder peinlich ihm das vorkommen mochte. Der Analytiker geht davon aus, dass in dem, was ein Patient auf der Couch assoziiert, immer auch Hinweise auf sein Trauma und auf die Widerstände enthalten sind, die dessen Bewusstwerdung verhindern. Denn gerade mit ihren Traumata beschäftigen die Patienten sich ja die ganze Zeit – nur eben nicht bewusst.«
»Je mehr man sich anstrengt, um etwas zu vergessen, desto mehr denkt man unbewusst daran?«
»Genau. Deshalb ist es wichtig, auf die Signale des Unbewussten zu achten. Der ›Königsweg‹ ins Unbewusste führt nach Freud über unsere Träume. Eines seiner wichtigsten Werke ist deshalb auch das Buch ›Die Traumdeutung‹, das im Jahre 1900 erschien. Darin zeigte er, dass unsere Träume keine Zufälle sind. Durch unsere Träume versuchen unsere unbewussten Gedanken, sich unserem Bewusstsein mitzuteilen.«
»Erzähl weiter!«
»Nachdem er viele Jahre lang unter seinen Patienten Erfahrungen gesammelt – und nicht zuletzt, nachdem er seine eigenen Träume analysiert hatte –, erklärte Freud, dass alle Träume im Grunde wunscherfüllende Träume seien. Bei Kindern könne man das deutlich beobachten, meinte er. Sie träumen noch von Eis und Kirschen. Aber bei Erwachsenen ist es oft so, dass Wünsche, die uns der Traum nicht erfüllen will, sich verkleiden. Denn auch wenn wir schlafen, bestimmt eine strenge Zensur , was wir uns erlauben dürfen und was nicht. Wenn wir schlafen, ist diese Zensur oder dieser Verdrängungsmechanismus schwächer als im wachen Zustand – aber immer noch stark genug, um im Traum unsere Wünsche zu verzerren, zu denen wir uns nicht bekennen wollen.«
»Und deshalb müssen Träume gedeutet werden?«
»Freud zeigt, dass wir zwischen dem Traum, so, wie wir uns am nächsten Morgen daran erinnern, und seiner eigentlichen Bedeutung unterscheiden müssen. Die Traumbilder selber – also den Film oder das Video, das wir träumen – hat er als manifesten Trauminhalt bezeichnet. Aber der Traum hat auch eine tiefere Bedeutung, die dem Bewusstsein verborgen ist. Und die hat Freud den latenten Traumgedanken genannt. Die Traumbilder und ihre Requisiten stammen meist aus der unmittelbaren Vergangenheit, nicht selten aus dem, was wir am Vortag erlebt haben. Die verborgenen Gedanken aber, von denen der Traum im Grunde handelt, können aus einer weit zurückliegenden Zeit stammen – zum Beispiel aus unserer frühesten Kindheit.«
»Wir müssen den Traum also analysieren, um zu verstehen, worum es darin wirklich geht.«
»Ja, und Kranke müssen das zusammen mit ihrem Therapeuten tun. Aber nicht der Arzt deutet den Traum. Das kann er nur mit Hilfe des Patienten. Der Arzt tritt in dieser Situation nur auf wie eine sokratische Hebamme, die beim
Weitere Kostenlose Bücher