Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
denunzieren. Am Ende sollte ihn das sein Leben kosten.
Im Jahre 399 v. Chr. wurde er angeklagt, »die Jugend zu verderben« und »die Götter nicht anzuerkennen«. Mit knapper Mehrheit wurde er von einer Jury mit fünfhundert Mitgliedern für schuldig befunden.
Nun hätte er sicher um Gnade bitten können. Er hätte auf jeden Fall sein Leben retten können, wenn er bereit gewesen wäre, Athen zu verlassen. Aber wenn er das getan hätte, dann wäre er nicht Sokrates gewesen. Der Punkt ist, dass er sein eigenes Gewissen – und die Wahrheit – für wichtiger hielt als sein Leben. Er versicherte, nur zum Besten des Staates gehandelt zu haben. Aber er wurde eben zum Tode verurteilt. Kurze Zeit später leerte er in Anwesenheit seiner engsten Freunde einen Becher mit Gift, den Schierlingsbecher.
Warum, Sofie? Warum musste Sokrates sterben? Diese Frage stellen die Menschen immer noch. Aber er ist nicht der Einzige in der Geschichte, der bis zum Letzten gegangen ist und für seine Überzeugung den Tod erlitten hat. Ich habe schon Jesus erwähnt und zwischen Jesus und Sokrates gibt es tatsächlich mehrere Parallelen. Ich will nur einige nennen.
Jesus und Sokrates galten beide schon ihren Zeitgenossen als rätselhafte Personen. Keiner von beiden schrieb seine Botschaft auf. Wir sind also völlig abhängig von dem Bild, das ihre Jünger uns von ihnen geben. Feststeht aber dennoch, dass beide Meister in der Kunst des Gesprächs waren. Sie sprachen außerdem mit einem klaren Selbstbewusstsein, das sowohl entzücken als auch irritieren konnte. Darüber hinaus glaubten beide, für etwas zu sprechen, das größer war als sie selber. Sie forderten die Machthaber in der Gesellschaft heraus, weil sie alle Formen von Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch kritisierten. Und nicht zuletzt: Diese Tätigkeit kostete beide das Leben.
Auch bei den Prozessen gegen Jesus und Sokrates sehen wir klare Parallelen. Beide hätten vielleicht um Gnade bitten und dadurch ihr Leben retten können. Aber sie glaubten, ihre Berufung zu verraten, wenn sie nicht bis zum Äußersten gingen. Und dass sie hocherhobenen Hauptes in den Tod gingen, machte sie glaubwürdig über ihren Tod hinaus.
Wenn ich diese Parallelen zwischen Jesus und Sokrates ziehe, dann nicht, weil ich sie gleichsetzen will. Ich wollte vor allem sagen, dass beide eine Botschaft hatten, die sich nicht von ihrem persönlichen Mut trennen lässt.
Ein Joker in Athen
Sokrates, Sofie! Wir sind noch nicht ganz fertig mit ihm, verstehst du. Wir haben etwas über seine Methode gesagt. Aber wie sah es mit seinem philosophischen Projekt aus?
Sokrates war ein Zeitgenosse der Sophisten. Wie sie beschäftigte er sich mit dem Menschen und dem Menschenleben, und nicht mit den Problemen der Naturphilosophen. Ein römischer Philosoph – Cicero – sagte einige Jahrhunderte später, Sokrates habe die Philosophie vom Himmel auf die Erde geholt, sie in den Städten und Häusern Wohnung nehmen lassen und die Menschen gezwungen, über Leben und Sitten, über Gut und Böse nachzudenken.
Aber Sokrates unterschied sich in einem wichtigen Punkt von den Sophisten. Er betrachtete sich selber nicht als Sophisten – also als gelehrte oder weise Person. Im Gegensatz zu den Sophisten ließ er sich deshalb auch für seine Lehrtätigkeit nicht bezahlen. Nein, Sokrates nannte sich Philosoph , im wahrsten Sinne des Wortes. Ein »Philosoph« ist eigentlich ein »Liebhaber der Weisheit«, jemand, der danach strebt, Weisheit zu erlangen.
Sitzt du gut, Sofie? Das ist wichtig für den ganzen restlichen Kurs, dass du den Unterschied zwischen Sophist und Philosoph verstehst. Die Sophisten ließen sich für ihre mehr oder minder spitzfindigen Ausführungen bezahlen, und solche »Sophisten« sind während der gesamten Geschichte immer wieder gekommen und gegangen. Ich denke an alle Schullehrer oder Besserwisser, die entweder mit ihrem bisschen Wissen zufrieden sind, oder die damit protzen, gewaltig viel zu wissen, wovon sie in Wirklichkeit keine Ahnung haben. Etliche solche »Sophisten« sind dir in deinem jungen Leben sicher schon begegnet. Ein echter Philosoph, Sofie, ist etwas ganz anderes, ja, das genaue Gegenteil.
Ein Philosoph weiß genau, dass er im Grunde sehr wenig weiß. Ebendeshalb versucht er immer wieder, zu wirklicher Erkenntnis zu gelangen. Sokrates war so ein seltener Mensch. Ihm war klar , dass er nichts über das Leben und die Welt wusste. Und jetzt kommt das Entscheidende: Es quälte ihn geradezu, dass er
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