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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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so wenig wusste.
    Ein Philosoph ist also jemand, der erkennt, dass es sehr viel gibt, was er nicht versteht. Und das quält ihn. So gesehen ist er immer noch klüger als alle, die mit ihrem vermeintlichen Wissen prahlen. »Die Klügste ist die, die weiß, was sie nicht weiß«, habe ich gesagt. Sokrates selber sagte, er wisse nur eins – nämlich, dass er nichts wisse. Notier dir diese Aussagen, denn selbst unter Philosophen ist dieses Eingeständnis eine seltene Ware. Es kann außerdem so gefährlich sein, das öffentlich zu verkünden, dass es dich dein Leben kostet. Immer sind die Fragenden die Gefährlichsten. Es ist nicht gefährlich, zu antworten. Eine einzige Frage kann mehr Zunder enthalten als tausend Antworten.
    Hast du von des Kaisers neuen Kleidern gehört? Eigentlich war der Kaiser splitternackt, aber keiner seiner Untertanen traute sich, das zu sagen. Und plötzlich rief ein Kind, der Kaiser sei ja nackt. Das war ein mutiges Kind, Sofie. Auf diese Weise wagte auch Sokrates klarzustellen, wie wenig Menschen wissen. Die Ähnlichkeit zwischen Kindern und Philosophen ist ja schon zur Sprache gekommen.
    Ich präzisiere: Die Menschheit ist mit wichtigen Fragen konfrontiert, auf die wir nicht ohne weiteres die passenden Antworten finden. Und nun eröffnen sich uns zwei Möglichkeiten: Wir können uns selber und den Rest der Welt hinters Licht führen und so tun, als wüssten wir alles, was sich zu wissen lohnt. Oder wir können vor den großen Fragen die Augen verschließen und es ein für alle Mal aufgeben, weiterzukommen. Auf diese Weise zerfällt die Menschheit in zwei Teile. Zumeist sind die Menschen entweder felsenfest sicher oder gleichgültig. (Beide Sorten krabbeln und kriechen tief unten im Kaninchenfell herum!) Das ist wie beim Kartenspielen, wenn man ein Spiel teilt, liebe Sofie. Man legt die schwarzen Karten auf einen Stapel und die roten auf einen anderen. Aber ab und zu schaut ein Joker aus dem Spiel heraus, einer, der weder Herz noch Kreuz ist, weder Karo noch Pik. Sokrates war in Athen so ein Joker. Er war weder felsenfest sicher noch gleichgültig. Er wusste nur, dass er nichts wusste – und das quälte ihn. Also wurde er Philosoph – einer, der nicht nachgibt, einer, der unermüdlich versucht, Wissen zu erlangen.
    Angeblich hat einmal ein Athener das Orakel von Delphi gefragt, wer der klügste Mensch in Athen sei. Das Orakel antwortete: Sokrates. Als Sokrates das erfuhr, war er gelinde gesagt verwundert. (Ich glaube, er hat gelacht, Sofie!) Sofort ging er in die Stadt und suchte jemanden auf, den er und auch andere für klug hielten. Aber als sich herausstellte, dass dieser Mensch Sokrates seine Fragen nicht klar beantworten konnte, sah Sokrates schließlich ein, dass das Orakel Recht hatte.
    Für Sokrates war es wichtig, ein sicheres Fundament für unsere Erkenntnisse zu finden. Er glaubte, dieses Fundament liege in der menschlichen Vernunft. Mit seinem starken Glauben an die menschliche Vernunft war er also ein ausgeprägter Rationalist .
Richtige Erkenntnis führt zum richtigen Handeln
    Ich habe bereits erwähnt, dass Sokrates glaubte, eine göttliche Stimme in sich zu hören, und dass dieses »Gewissen« ihm sagte, was richtig war. Wer wisse, was gut ist, werde auch das Gute tun, meinte er. Er glaubte, die richtige Erkenntnis führe zum richtigen Handeln. Und nur, wer das Richtige tut, so Sokrates, wird zum richtigen Menschen. Wenn wir falsch handeln, dann, weil wir es nicht besser wissen. Deshalb ist es so wichtig, unser Wissen zu vermehren. Sokrates ging es gerade darum, ganz klare und allgemein gültige Definitionen dafür zu finden, was Recht ist und was Unrecht. Im Gegensatz zu den Sophisten glaubte er nämlich, die Fähigkeit, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden, liege in der Vernunft und nicht in der Gesellschaft.
    Vielleicht kannst du den letzten Satz nicht so leicht schlucken, Sofie. Ich versuche es noch einmal: Sokrates hielt es für unmöglich, glücklich zu werden, wenn man gegen seine Überzeugung handelt. Und wer weiß, wie er zum glücklichen Menschen werden kann, wird auch versuchen, einer zu werden. Deshalb wird jemand, der weiß, was richtig ist, auch das Richtige tun. Denn kein Mensch möchte ja wohl unglücklich sein?
    Was meinst du selber, Sofie? Kannst du glücklich leben, wenn du immer wieder Dinge tust, die du im tiefsten Herzen nicht für richtig hältst? Es gibt viele, die dauernd lügen und stehlen und andere verleumden. Na gut! Sie wissen wohl auch,

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