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Sog des Grauens

Titel: Sog des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bagley Desmond
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kurzen, häßlichen Wellen, deren Köpfe von dem Wind abgerissen und waagerecht über die Wasserwüste getrieben wurden. Ein Wirbel peitschte ihm Sprühwasser ins Gesicht, und als er sich über die Lippen leckte, schmeckte er Salz.
    St. Pierre war vollkommen verschlungen worden.

9
    Als das erste Morgengrau am Himmel erschien, streckte Julie ihre verkrampften Beine aus. Sie hatte sie unter ihren Körper gezogen gehabt, um sie einigermaßen trocken zu halten, aber das war ihr nicht gelungen. Wenigstens hatten sie aber nicht im strömenden Wasser gelegen. Der Wind hatte mit Tagesanbruch nachgelassen; er heulte nicht mehr so teuflisch und überschüttete sie nicht mehr mit Sturzbächen, aber immer noch schoß eine lehmige Flut durch die Schlucht hinunter.
    Es war eine böse Nacht gewesen. In ihrer kleinen Höhle unter dem großen Felsblock waren sie gegen den Sturm gut geschützt; er hatte um sie herum getobt, aber sie blieben unbehelligt. Mit dem Wasser war es etwas anderes. Es kam von oben, erst langsam, dann in einer immer stärkeren Sturzflut, die über den Felsblock schoß und vor ihren Füßen niederfiel. Sie brachte alle Äste, Zweige und Blätter mit, die in der Schlucht über ihnen gelegen hatten.
    Als der Wind stärker wurde, zerriß er die Wasserwand vor ihren Gesichtern. Er zerstiebte das Wasser und blies es als feinen Sprühregen über den Berghang. Und wenn der Wind drehte und wirbelte, ging es ihnen, als hätte jemand eine Wanne voll Wasser in die Höhle geschüttet. Das geschah mit monotoner Regelmäßigkeit jede Stunde wenigstens ein dutzendmal.
    Ihr Unterschlupf war eng, klein – und sicher. Die Wände der Schlucht stiegen auf beiden Seiten steil an, und der Wind, der über den offenen Hang raste, sog manchmal tatsächlich die Luft aus dieser Rinne, und während der schlimmsten Zeit mußten sie manchmal zwei Herzschläge lang nach Luft schnappen. Aber das schadete ihnen nicht, ja es half ihnen eher, denn mit der Luft wurde auch das Wasser herausgerissen, und das verschaffte ihnen für Augenblicke Erleichterung.
    Sie konnten entweder ihre Beine ausstrecken und den Wasserfall über ihre Füße strömen lassen, wobei sie blaue Flecken oder Schlimmeres riskierten, wenn die Flut Äste oder Steine herunterspülte, oder auf ihren Beinen sitzen und einen Krampf bekommen. Sie wechselten zwischen den beiden Methoden ab – streckten die Beine aus, wenn der Krampf zu schlimm wurde. Das Wasser war nicht sehr kalt, worüber Julie froh war, und sie bildete sich ein, sie wurde so sauber gewaschen, daß sie ihr Leben lang nicht mehr unter die Dusche zu gehen brauchte. Schon allein der Gedanke an das Rauschen der Brause zu Hause in ihrem Badezimmer machte sie krank.
    Zuerst konnten sie sich noch bequem unterhalten. Rawsthorne fühlte sich besser nach dem Rum. Er sagte: »Wir werden hier vielleicht ein wenig naß werden, aber ich glaube, wir werden mit dem Felsen im Rücken sicher sein.«
    »Er wird nicht herunterkommen?« fragte Mrs. Warmington ängstlich.
    »Das glaube ich nicht. Er scheint fest eingebettet zu sein – ich glaube sogar, daß es gewachsener Fels ist.« Er sah durch das herabfallende Wasser. »Und da unten kann das Wasser gut ablaufen. Es wird sich nicht stauen und uns ertränken. Wir müssen nur ruhig sitzenbleiben, bis alles vorbei ist.«
    Julie horchte nach dem ansteigenden Kreischen des Windes über ihnen. »Es hört sich an, als sollte die ganze Insel weggefegt werden.«
    Rawsthorne lachte matt. »Sie wurde 1910 nicht weggefegt – ich sehe keinen Grund, warum sie es jetzt sollte.«
    Julie nahm ihre Beine aus dem Wasserfall und zog sie unter den Körper. »Jetzt haben wir genug Wasser – mehr als genug.« Nach einer Pause sagte sie: »Ich möchte wissen, wie all die Menschen mitten in einer Schlacht aus St. Pierre herausgekommen sind.«
    »Meine Vermutung ist, daß Favel etwas damit zu tun hat«, sagte Rawsthorne versonnen. »Er muß schon, denn sie sind am Negrito, seiner Verbindungslinie zu den Bergen.«
    »Sie meinen, Dave Wyatt hat ihm von dem Hurrikan berichtet?«
    »Ich hoffe es. Das würde bedeuten, daß der junge Mann lebt. Aber vielleicht hatte Favel andere Informationsquellen; vielleicht bekam er eine Nachricht aus dem Stützpunkt oder sonstwoher.«
    »Ja«, sagte sie leise und verfiel wieder in Schweigen.
    Der Regenfall verstärkte sich, und aus dem Bach, der durch die Schlucht hinunterschoß, wurde eine brodelnde Sturzflut. Der Wind wurde stärker, und jetzt passierte es, daß

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