Sog des Grauens
Wirbel das Wasser in die Höhle warfen, so daß sie nach Atem rangen und sich an den Felsen anklammerten, aus Furcht, ins Tal geschwemmt zu werden. Mrs. Warmington hatte große Angst und wollte sich einen sicheren Platz suchen, aber Julie hielt sie zurück.
Rawsthorne fühlte sich nicht gut. Die Ereignisse der letzten beiden Tage waren zuviel für ihn gewesen, und sein Herz, das schon unter normalen Umständen nicht besonders gut war, begann sich aufzulehnen. Er bezweifelte, ob er auf ihrer Flucht von der Küste noch weiter hätte gehen können, und er war froh über die Ruhepause, so ungemütlich es auch war. Er dachte über Julie nach; sie war ein prächtiges Mädchen, stark und zäh, wenn es nötig war, und nicht bange, ein Risiko einzugehen. Er merkte, daß ihre Gedanken bei Wyatt waren, und er hoffte, daß beide diese schreckliche Nacht überleben würden, auf daß sie wieder zusammenkommen und ihr normales Leben fortsetzen könnten. Aber sie würden beide nicht mehr sein wie vorher, nicht in ihrer Einstellung zur Welt und, besonders nicht, zueinander. Er hoffte, sie würden einander wiederfinden.
Was diese verdammte Warmington mit ihrem ewigen Gejammer anging, da hätte er nicht das geringste dagegen gehabt, wenn sie aus der Höhle davongespült worden wäre. Dann hätten sie wenigstens mehr Platz gehabt, und sie wären von einer kräftezehrenden Bürde befreit gewesen. Er schnappte nach Luft, als er von einer Wasserwand zugedeckt wurde und von allen Gedanken nur der Wunsch zu überleben übrigblieb.
***
So ging die Nacht dahin, ein Schrecken, der sich nach Stunden messen ließ, eine lauwarme Hölle aus tosendem Sturm und stürzendem Wasser. Aber der Wind ließ gegen Morgen nach, und die Höhle wurde trockener und nicht mehr alle paar Minuten überschwemmt. Julie lockerte ihre verkrampften Beine und dachte, daß sie, so unglaublich es schien, wohl überleben würden. Sie stieß Rawsthorne an, der sagte: »Ja, der Wind läßt nach. Ich glaube, wir kommen gut davon.«
»Mein Gott, ich werde froh sein, wenn ich hier herauskomme«, sagte Julie. »Aber ich weiß nicht, ob ich stehen kann. Danach, wie mir jetzt ist, werde ich erst wieder laufen lernen müssen.«
»Können wir hinausgehen?« fragte Mrs. Warmington. Es war das erste Lebenszeichen von ihr seit langer Zeit.
»Noch nicht. Wir werden warten, bis es heller ist, und der Wind wird dann auch noch weiter nachgelassen haben.« Rawsthorne zog den Kopf zwischen die Schultern und starrte vor sich hin. »Ich habe das Gefühl, man könnte da draußen leicht ertrinken, besonders wenn man in der Dunkelheit herumirrt.«
Sie blieben also in ihrem engen Unterschlupf, bis sie undeutlich die Wände der Schlucht erkennen konnten, und dann begaben sie sich hinaus ins herrliche Tageslicht. Zuerst tauchte Julie vorsichtig unter dem herunterstürzenden Wasservorhang hindurch, dann Mrs. Warmington und zuletzt Rawsthorne, der sich langsam und mühsam bewegte, als wären seine Gelenke eingerostet. Julies Haar flatterte in dem Wind, der die Schlucht hinunterfegte – es war noch immer ein starker Sturm, aber kein Hurrikan mehr.
Sie watete knietief durch das dahinschießende Wasser zum Ufer. Dort drehte sie sich um und streckte ihre Hand nach Mrs. Warmington aus, die kreischte und ausrutschte. »Mein Schuh«, rief sie, »ich habe meinen Schuh verloren.«
Aber der war weg, von dem tosenden Wasser zu Tale gespült. »Macht nichts«, sagte Julie. »Es ist nicht so wichtig. Wir werden vielleicht jetzt nicht mehr weit laufen müssen.«
Rawsthorne kam nach und sagte: »Ich wüßte gern, was unten im Tale vorgeht. Ich glaube, es wäre wichtig zu wissen.«
Julie warf ihm einen schnellen Blick zu. »Wenn wir hier herausklettern, können wir hinuntersehen. Ich glaube, hier könnten wir hochkommen.«
Die Erde hatte sich in dicken, glitschigen Schlamm verwandelt, und es war nicht leicht, aus der Schlucht hinauszuklettern. Sie wankten und rutschten in dem glitschigen Steilhang, kamen aber schließlich hinauf, indem sie sich an Ästen und zähen Grasbüscheln hochzogen. Alles, was sie anpackten, hielt fest – nur das Starke war übriggeblieben, alles Schwache war vernichtet worden.
Sogar der karge Berghang zeigte Beschädigungen. Die meisten der niedrigen, verkrüppelten Bäume zeigten weißes Holz, wo Äste abgerissen waren, und es waren frische Narben an der roten Erde, wo ganze Bäume ausgerissen wurden. Kaum ein Baum hatte noch ein Blatt, und der ganze Berghang war vollkommen
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