Sog des Grauens
durch eine Kurve schleuderte. »Wie weit ist das?«
»Wir müßten in einer halben Stunde dort sein, wenn wir die ganze Zeit schnell fahren können. Favel sagte, die Straße sei durch umgestürzte Bäume blockiert, aber er sei dabei, sie räumen zu lassen.«
Sie kamen schon höher hinauf, und Dawson sah nach links hinüber und sagte: »Sehen Sie bloß den verdammten Fluß! Er ist wie ein Meer – das ganze Tal ist unter Wasser.«
Wyatt konzentrierte sich auf die Straße. »Das wird salziges Wasser sein, oder sehr brackiges. Das wird den Kulturen nicht guttun.« Er sah nicht einmal hin; seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Fahren. Er fuhr zu schnell für diese Straße mit all ihren Kurven und Serpentinen, und er schnitt die Kurven weit. Es war nicht sehr wahrscheinlich, daß jemand aus der entgegengesetzten Richtung kommen würde, aber möglich war es immerhin. Dieses Risiko ging er ein, um schneller voranzukommen.
Dawson drehte sich um und sah nervös auf die See hinaus. Sie war zu weit weg, als daß man die Wellen sehen konnte, aber er erhaschte einen Blick auf den fernen Horizont, bevor der Landrover um die nächste Kurve schlidderte. Dort türmten sich Wolken – große schwarze Massen, von Blitzen durchzuckt. Er warf einen Blick auf Wyatts entschlossenes Gesicht und dann auf die nasse Straße, die sich an der südlichen Flanke des Negrito-Tals hinauf schlängelte. Das würde knapp werden.
Die Plantagen zu beiden Seiten waren ruiniert. Die weichen Bananenstauden hatte der Sturm umgelegt und auf dem Boden zu einer breiigen Masse zerschlagen. Von den wenigen Stauden, die stehengeblieben waren, wehten zerfetzte Blätter wie vergessene Feldzeichen, aber es war zweifelhaft, ob die Pflanzen die nächsten Stunden überleben würden. Das Zuckerrohr war zäher; die steifen Stengel standen noch aufrecht und rasselten in dem auffrischenden Wind, aber die frischgrünen oberen Blätter waren vollkommen weg, und die Pflanzen würden eingehen.
Sie kamen um eine andere Kurve und stießen auf marschierende Männer. Wyatt bog aus, um sie nicht umzufahren. Er verlor an Geschwindigkeit und schimpfte, als er zurückschalten mußte. Die Soldaten winkten, als sie vorbeifuhren, und Dawson winkte zurück. Er hoffte, sie würden bald Schutz finden – das war keine Zeit, um auf einer offenen Straße zu sein.
Dann kamen sie an die erste Brücke, die über einen Wasserlauf führte, der normalerweise trocken war. Aber jetzt führte er Wasser; ein tosender Strom füllte die enge Schlucht fast aus, schoß unter der Brücke durch und stürzte als Wasserfall über die fast senkrechte Wand auf der anderen Seite der Straße. An der Brücke standen Männer, die verdutzt aufsahen, als der Landrover ankam und Wyatt mit dem Arm Zeichen machte, die bedeuten sollten, daß er hinüber wollte. Ein Sergeant zuckte mit den Schultern und winkte ihn ein, und Wyatt fuhr langsam auf die Brücke.
Dawson sah über den Rand und hielt den Atem an. Er meinte, die Vibration zu spüren, wenn das dahinschießende Wasser von unten gegen die Brücke schlug, und er hoffte inbrünstig, daß die Brücke nicht zu sehr beschädigt war. Da war ein Abgrund von über dreißig Metern, und so etwas hatte ihn schon immer schwindelig gemacht. Er schloß die Augen und öffnete sie erst einige Sekunden später wieder, als er hörte, wie Wyatt schaltete. Die Brücke lag hinter ihnen, und sie setzten den langen Anstieg fort.
Fast jede Minute schickte Wyatt einen Blick zum Himmel. Die Wolken wurden dicker, während der Südrand des Hurrikans näher rückte. Von den wenigen noch stehenden Bananenstauden wehten die zerfetzten Blätter, und er wußte, der große Sturm war nicht mehr weit. Er sagte: »Wir werden vielleicht gerade noch rechtzeitig oben ankommen.«
»Was dann?«
»Dann suchen wir Schutz unterhalb des Kammes. Wir werden nicht allein sein – Favel hat ein Regiment hier heraufgeschickt.«
»Das kommt mir verdammt blödsinnig vor«, bemerkte Dawson. »Wozu soll das gut sein?«
»Es ist eine Sache der Organisation. Die Leute unten im Tal haben keine, sie sind undiszipliniert und isoliert, und nach dem Hurrikan wird das noch schlimmer sein. Wenn Favel eine Gruppe von disziplinierten Männern zu ihnen schicken kann, sobald der Wind nachläßt, kann er viele Menschenleben retten. Haben Sie schon einmal was von Katastrophenschock gehört?«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Wenn eine Bevölkerung von einer Katastrophe betroffen wird, bleiben die Überlebenden in einem
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