Sohn der Dunkelheit

Migräneanfälle.
    Wahrscheinlich war auch Nähren überfällig – aber das musste noch eine Weile warten.
    Sein Bruder fuhr zügig, und Trez vertrieb sich die Zeit damit, sich vorzustellen, wo sie waren, an welcher Kreuzung sie gerade hielten oder welche Abzweigung sie nahmen, wo das Commodore lag, das sich höher und höher in den Himmel erhob, je näher sie ihm kamen.
    Ein plötzliches Absenken des Kühlers verriet ihm, dass sie in die Parkgarage einfuhren – und dass er mit seinen Berechnungen hinterherhinkte: Er hatte gedacht, sie seien noch Blocks entfernt.
    Dann ging es links und immer wieder links, während sie sich drei Stockwerke in die Tiefe schraubten und auf einem der beiden ihnen zugeteilten Plätze parkten.
    Als sie in den Aufzug stiegen und iAm den siebzehnten Stock wählte, war die Aura über den Rand seines Blickfelds hinweggewandert und verschwunden, als wäre sie nie dagewesen.
    Die Ruhe vor dem Sturm.
    » Danke fürs Heimfahren « , sagte er aufrichtig. Er hasste es, auf andere angewiesen zu sein, aber es war gar nicht so einfach, keinen Unfall zu bauen, wenn hinter den Augäpfeln ein Neonschild blinkte.
    » Ich hielt es für das Beste. «
    » Ja. «
    Die Brüder hatten nicht mehr über die Sache mit AnsLai geredet, obwohl der Besuch des Hohepriesters noch immer zwischen ihnen stand – aber immerhin schien iAm seinen Ärger so weit überwunden zu haben, dass er Trez heimfahren konnte.
    Der erste Hinweis auf das Einsetzen der Kopfschmerzen kam, als das leise » Pling « , mit dem der Aufzug sein Ziel erreichte, wie ein Pistolenschuss in seinen Schädel fuhr.
    Stöhnend wartete Trez, bis die Türen aufglitten. » Das wird unschön. «
    » Hattest du nicht erst letzte Woche einen Anfall? «
    Wer würde ihn das wohl noch alles fragen?
    iAm sperrte die Tür zur Wohnung auf, wo Trez sich sofort entkleidete. Einen Meter hinter der Tür flog seine Jacke, dann kam der schwarze Kaschmirpulli im Flur, schließlich knöpfte er sein Seidenhemd auf und trat in sein Schlaf…
    Er erstarrte. Und komischerweise konnte er an nichts anderes denken als an die Szene in Die Glücksritter – wo Eddie Murphy in sein Zimmer in dem vornehmen Haus kommt und eine halbnackte Frau sich in seinem Bett aufsetzt und ihn begrüßt.
    Mit dem Unterschied, dass seine Stalkerin – die unbelehrbare Klette mit dem Rausschmeißer-Freund – blond war und keine Leggins aus den frühen Achtzigern trug. Vielmehr hatte sie sich ganz entblättert.
    Eine Pistole erschien über seiner Schulter, direkt auf die Besucherin gerichtet und mit Schalldämpfer versehen.
    iAm hätte sie problemlos töten können.
    » Ich dachte, du würdest dich freuen « , schmollte Babygirl und musterte abwechselnd Trez und die Pistolenmündung seines Bruders.
    Dabei warf sie sich in Pose, indem sie einen Arm hob und an ihrem Haar rummachte – aber sollte sie auf ein verführerisches Wogen ihrer Brüste spekuliert haben, hatte sie sich geschnitten: ihre steinharten Implantate blieben unbeweglich wie in Beton verankert.
    » Wie bist du hier reingekommen? « , blaffte Trez.
    » Freust du dich denn gar nicht, mich zu sehen? « Als weder eine Antwort kam noch die Pistole weichen wollte, zog sie eine Schnute. » Ich hatte eben einen guten Draht zum Wachmann. Was denn? Ach, kommt schon … okay, ich habe ihm einen geblasen. «
    Wie stilvoll.
    Dieser bescheuerte Wichser von Rent-a-Cop war seinen Job definitiv los.
    Trez bückte sich nach dem Kleiderhäufchen am Fußende des Betts. » Zieh dich an und verschwinde. «
    Mann, er war müde.
    » Ach, komm schon « , quengelte sie, als ihr ihre Sachen um die Ohren flatterten. » Ich wollte dich nach der Arbeit überraschen. Ich dachte, es würde dich freuen. «
    » Tut es aber nicht. Raus hier … « Sie öffnete den Mund, als wollte sie ihm eine Szene machen, doch er schüttelte nur den Kopf. » Untersteh dich. Ich bin nicht in der Stimmung, und meinem Bruder ist es vollkommen egal, ob du hier auf eigenen Füßen herausspazierst oder in einem Plastiksack getragen wirst. Zieh dich an. Verschwinde! «
    Die Frau ließ den Blick erneut zwischen ihnen hin und her wandern. » Letzte Nacht warst du so lieb zu mir … «
    Trez winselte, als der Schmerz überhandnahm und seine rechte Schädelhälfte zu pulsieren begann. » Süße, lass mich ehrlich sein: Ich weiß nicht mal deinen Namen. Wir haben zweimal gevögelt … «
    » Dreimal … «
    » Ist mir scheißegal wie oft. Aber heute Nacht ziehst du den Schlussstrich. Wenn du noch