Sohn der Dunkelheit
dich an Selena wenden « , meinte er.
Blay stieß die Luft aus, als wäre ihm schwer ums Herz. » Ja. Ich weiß. «
» Wir könnten zusammen gehen « , hörte Qhuinn sich sagen.
Er öffnete die Augen gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Blay den Kopf herumriss.
» Du könntest es natürlich auch alleine machen. « Qhuinn ließ seine Knöchel krachen. » Was dir lieber ist. «
Scheiße. Im Hinblick auf Saxton ging das vielleicht zu weit. Schließlich war Nähren beinahe noch intimer als Sex …
» Ja « , sagte Blay leise. » Das mache ich. «
Qhuinns Herz schlug schneller. Und es lag auch dieses Mal nicht daran, dass er auf eine Gelegenheit spekulierte, sich an Blay vergreifen zu können. Er wollte nur …
» Anteil nehmen « war vermutlich der richtige Ausdruck.
Nein, Moment. Es ging weiter. Er wollte für Blay sorgen.
» Weißt du, ich glaube nicht, dass ich mich je bei dir bedankt habe « , murmelte Qhuinn. Als Blay ihn mit seinen himmelblauen Augen ansah, wollte er sich abwenden – der Blickkontakt war fast zu viel für ihn. Doch dann dachte er an seinen Bruder in diesem Operationssaal – und daran, wie einem plötzlich die Zeit geraubt werden konnte.
Mann, er hatte so viel für sich behalten, aus den unterschiedlichsten Gründen – und jeder für sich war gültig. Aber war das nicht furchtbar arrogant? Mit seiner Verschlossenheit setzte er voraus, dass er alle Zeit der Welt hatte und er diese Dinge irgendwann einmal ansprechen konnte, wenn es ihm gerade passte. Dass der Ansprechpartner, an den er dachte, immer da sein würde. Dass er selbst immer da wäre.
» Wofür? « , fragte Blay.
» Dafür, dass du uns heimgefahren hast. Mich und Luchas. « Qhuinn holte tief Luft und ließ sie langsam wieder entweichen. » Und weil du hier die ganze Nacht mit mir ausharrst. Weil du zu Payne gegangen bist und sie um Hilfe gebeten hast. Weil du mir im Einsatz den Rücken gedeckt hast und während des Trainings. Und für all das Bier und die Videospiele. Die Chips und die M&Ms. Die Klamotten, die ich mir geliehen habe. Die Matratze bei dir auf dem Boden, wenn ich bei dir geschlafen habe. Danke, dass ich deine Mom umarmen und mit deinem Dad reden durfte. Danke … für die zehntausend Gefälligkeiten. «
Und dann dachte er plötzlich wieder an die Nacht, als er heimkam und sah, wie sein Vater seinem Bruder den Siegelring schenkte.
» Danke, dass du in jener Nacht damals angerufen hast « , sagte er mürrisch.
Blays Brauen schossen nach oben. » In welcher Nacht? «
Qhuinn räusperte sich. » Nach Luchas’ Transition, als mein Vater ihm … diesen Ring überreicht hat. « Er schüttelte den Kopf. » Ich bin in mein Zimmer gegangen und wollte etwas … na ja, wirklich Dummes tun. Du hast angerufen. Bist vorbeigekommen. Erinnerst du dich? «
» Ja. «
» Es war nicht das einzige Mal, dass du so etwas getan hast. «
Als Blay den Blick abwandte, wusste Qhuinn genau, wo seine Gedanken waren. Ja, jene Nacht war nicht die einzige Gelegenheit gewesen, bei der er beinahe über die Klinge gesprungen wäre.
» Ich habe gesagt, dass es mir leidtut « , meinte Qhuinn. » Aber ich glaube, ich habe mich nie bedankt. Deshalb … tja, danke. «
Bevor er wusste, was er tat, streckte er Blay die Hand entgegen. Es erschien ihm richtig, diesen Moment mit einem feierlichen Handschlag zu besiegeln, hier und jetzt, vor dem OP seines misshandelten Bruders.
» Vielen … Dank. «
Unglaublich.
Nachdem er gefühlt ein ganzes Leben mit Qhuinn verbracht hatte, hätte Blay nicht mehr damit gerechnet, dass ihn noch irgendetwas überraschen könnte. Dass dieser Kerl noch etwas bringen konnte, was ihn sprachlos machte.
Irrtum.
Verflucht … bei all den Aussprachen, die er sich ausgemalt hatte, wenn Qhuinn sich in fiktiven Gesprächen geöffnet hatte oder irgendwie » das Richtige « sagte, war es nie um Dankbarkeit gegangen. Aber genau das hatte er hören müssen, obwohl es ihm nicht bewusst gewesen war.
Und diese dargebotene Hand brach ihm nun vollends das Herz.
Besonders in Anbetracht der Tatsache, dass Qhuinns Bruder hinter der Tür ihnen gegenüber mit dem Tode rang.
Blay schlug nicht ein.
Er umfasste Qhuinns Gesicht, zog ihn an sich und küsste ihn.
Es sollte nur ein kurzer, flüchtiger Kuss werden – als würden sie den Handschlag mit den Lippen vollführen. Doch als er sich lösen wollte, hielt Qhuinn ihn fest. Ihre Lippen trafen sich erneut … und noch einmal … und dann mit geneigten Köpfen, sodass ihre Nasen
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