Sohn der Dunkelheit
mir bedeutet hat – ich weiß noch, wie du mich das erste Mal zu dir nach Hause eingeladen hast. Ich dachte, deine Eltern würden mich rausschmeißen. Es hätte mich nicht überrascht. Zu Hause wollte keiner mit mir zu tun haben, warum sollte es wildfremden Leuten also anders gehen. Aber deine Mom … « Qhuinn räusperte sich erneut. » Deine Mom hat mich an euren Tisch gesetzt und gab mir zu essen. «
» Es war ihr so peinlich, dass dir schlecht davon geworden ist. Nach dem Essen bist du ins Bad gerannt und hast dich eine Stunde lang übergeben. «
» Ich habe mich nicht übergeben. «
Blay sah ihn verdattert an. » Aber du hast gesagt … «
» Ich habe geweint. «
Als Blay ihn fassungslos anstarrte, zuckte Qhuinn die Schultern. » Komm schon, was hätte ich sagen sollen? Dass ich unter dem Waschbecken gesessen und geflennt habe? Ich hab Wasser laufen lassen und ab und zu auf die Klospülung gedrückt. «
» Das wusste ich nicht. «
» Solltest du ja auch nicht. « Qhuinn sah ihn an. » Das solltest du nie erfahren. Ich wollte nicht, dass du weißt, wie schlimm es bei mir zu Hause war. Ich wolle nicht bemitleidet werden. Ich wollte nicht, dass du oder deine Eltern das Gefühl habt, dass ihr mich aufnehmen müsst. Ich wollte, dass du mein Freund bist – und das warst du. Das warst du immer. «
Blay sah zur Seite. Dann rieb er sich das Gesicht.
» Ohne euch hätte ich das nicht durchgestanden « , hörte Qhuinn sich sagen. » Ich habe für die Nacht gelebt, weil ich da zu euch kommen konnte. Ihr wart das Einzige, was mich aufrechterhalten hat. Du warst das Einzige, um genau zu sein. Das warst … du. «
Blay sah ihn an, und Qhuinn kam es vor, als würde sein Freund nach Worten suchen. Bei allem, was heilig war, wäre Saxton nicht gewesen, hätte Qhuinn das L-Wort gesagt, hier und jetzt, obwohl es ein blöder Anlass war.
» Aber du kannst mit mir reden « , sagte Blay schließlich. » Weißt du? «
Qhuinn stampfte ein paarmal auf, straffte die Schultern und streckte den Rücken. » Sei vorsichtig. Ich komme vielleicht darauf zurück. «
» Das wäre hilfreich. « Als Qhuinn ihn neugierig musterte, schüttelte Blay den Kopf. » Ich rede wirres Zeug. «
Blödsinn, dachte Qhuinn …
Ohne Warnung kam V aus der Hütte und steckte sich eine selbst gedrehte Zigarette an. Qhuinn verstummte und war sich nicht ganz sicher, ob er froh über diese Unterbrechung war.
Vishous stieß Rauch in die Nachtluft und sagte: » Ich muss mich vergewissern, ob du dir über die Konsequenzen im Klaren bist. «
Qhuinn nickte. » Ich weiß schon, was du sagen wirst. «
V sah ihm in die Augen. » Aber sprechen wir es trotzdem einmal offen aus, in Ordnung? Ich spüre keinen Anteil von Omega in ihm, aber sollte sich das ändern oder ich etwas übersehen haben, muss ich handeln. «
Töte mich, mein Bruder. Töte mich.
» Du tust, was du tun musst. «
» Er kann nicht ins Haupthaus. «
» Einverstanden. «
V streckte ihm die ungefährliche Hand entgegen. » Schwöre es. «
Es fühlte sich merkwürdig an, die Hand des Bruders zu ergreifen und sein Wort durch diesen Handschlag zu besiegeln – denn das taten Angehörige in solchen Situationen, und er hatte noch nie jemandem angehört: Selbst vor dem Ausschluss aus der Familie wäre er der Letzte gewesen, der für einen Blutsverwandten gebürgt hätte.
Doch die Zeiten hatten sich geändert.
» Noch etwas. « V aschte ab. » Deinem Bruder steht eine lange, harte Zeit der Genesung bevor. Und ich rede nicht nur von den körperlichen Verletzungen. Stell dich darauf ein. «
Was, als hätten sie davor irgendeine Form von Beziehung gehabt? Er teilte vielleicht einen Teil seiner DNA mit diesem Kerl, aber abgesehen davon war Luchas ein Fremder. » Ich weiß. «
» Okay. In Ordnung. «
Aus der Ferne drang ein hohes Sirren an ihre Ohren.
» Endlich « , presste Qhuinn hervor und ging zurück in die Hütte.
Sein Bruder lag neben dem umgefallenen Fass in der Ecke und war nicht mehr als ein Haufen Jacken, die seinen geschundenen Leib als provisorische Decken wärmten.
Qhuinn nickte John Matthew und Rhage zu und kniete sich neben seinen Bruder. Er kam sich vor wie im Traum.
» Luchas? Hör zu, sie bringen dich jetzt auf einem Schlitten hier raus. Du kommst zur Behandlung in unsere Klinik. Luchas? Kannst du mich hören? «
Blay verfolgte von der Veranda aus, wie die zwei Schneemobile auf die Hütte zupreschten und ihre Scheinwerfer dabei immer größer wurden. Als sie ihr Ziel
Weitere Kostenlose Bücher