Sohn Der Nacht
und weinerlichem Schreien. Sie fragte sich, ob das viel leicht seine Art war, die schattenhaften Ängste zu verarbeiten, die in dieses Haus eingedrungen waren. Er drückte seine Stimmungen of mit Hilfe seiner Spielsachen aus. Jetzt war er umgeben von Plüschtieren, Puzzlespielen, Plastikkühen und -Schweinen von seiner Spielzeugfarm, dazu vier oder fünf Schaumgummibälle in allen Farben des Regenbogens.
Gregory beendete den Kampf damit, daß der eine Bär auf dem anderen saß. »Geh weg. Sei wieder gut«, knurrte er.
»Nein, nein«, quiekte der andere Bär.
Gregory ließ den zuoberst sitzenden Bär den anderen in die Kehle beißen.
Fröstelnd betrat Katie das Zimmer. Erstaunlich, was Kin der so alles aufschnappten. Er mußte mitgehört haben, als Merrick den Anruf wegen des neuen Mordes entgegenge nommen hatte. Gregory blickte auf und verkündete: »Meine Bärchen hatten einen Kampf.«
»Das kann ich sehen. Und wer hat gewonnen?«
»Der gute Bär.«
»Warum haben sie denn miteinander gekämpft?«
»Der böse Bär wollte den guten Bär auffressen, aber Onkel Merrick hat ihn nicht gelassen.«
Katie kniete neben ihm nieder. »Ist der gute Bär jetzt in Sicherheit?«
»Ich glaube.«
Sie zog ihn an sich und umarmte ihn. »Du bist immer in Sicherheit bei Mami.« Sie wollte, sie könnte so sicher sein, wie sie klang. »Hilf mir, deine Spielsachen in die Kiste zu räumen, und dann bringen wir sie nach oben.«
»Kann ich noch mit meinen Karten spielen?«
»Sicher.«
Oben stellte Katie die Spielzeugkiste ihres Sohnes in den Schrank und gab ihm seine Sammlung mit Ansichtskarten. Er schlüpfte unter die Bettdecke und fing an, sie zu sortieren. Das war seine bevorzugte Beschäftigung, wenn er zu Bett ging. Mit unter erzählte er ihr Geschichten über die farbigen Karten, aber heute abend schien er damit zufrieden, sie einfach nur zu betrachten, eine nach der anderen. Katie fiel auf, daß sie die Schranktür offengelassen hatte. Als sie diese schloß, bemerkte sie den großen Baseballschläger im Louisville-Format, den Merrick seinem Sohn vor einiger Zeit mitgebracht hatte.
>Onkel< Merrick, dachte sie, und es versetzte ihr einen Stich.
Es würde noch einige Jahre dauern, bis Gregory diesen Schläger schwingen könnte. Für die meisten Väter war ein Geschenk wie dieses ein ungeduldiger Vorschuß auf zukünf tige Ballspiele innerhalb der Familie. Aber sie hatte das Gefühl, als habe Merrick einem zwei Jahre alten Jungen ein Teenager-Geschenk gegeben, weil er wußte, daß er nicht mehr in der Nähe sein würde, wenn Gregory groß genug zum Baseballspielen war.
Gregory hatte seine Ansichtskarten beiseite gelegt. Er legte
sich zurück und kuschelte sich zwischen die beiden Teddybä ren. Seine Augenlider wurden bereits schwer. »Gute Nacht, mein Süßer«, sagte Katie.
»Gute Nacht, Mom«, murmelte Gregory.
Katie küßte ihn auf die Stirn und eilte mit schwerem Her zen wieder nach unten. Ihre Mutter und Neddie saßen im Wohnzimmer auf der Couch und tranken Kaffee. Katie goß sich selbst eine Tasse bis zum Rand voll und nahm den beiden Frauen gegenüber auf einem Stuhl Platz. »Wir sprechen gerade über diesen furchtbaren neuen Mord«, sagte Mom.
»Es ist schrecklich«, stimmte sie zu.
»Neddie glaubt, es könnte sich vielleicht um einen Nach ahmungstäter handeln.«
»Wirklich? Warum?«
Neddie hob die Schultern. »Nur so eine Vermutung, nach dem ich mit der Polizei in einigen Fällen von Serienmördern zusammengearbeitet habe. Nach allem, was ich über die ersten drei Morde gehört habe, hat der Mörder sorgfältig darauf geachtet, jedes seiner Opfer anders zu >lagern<. Warum sollte er sich plötzlich selbst kopieren? Mir kommt es wahr scheinlicher vor, daß ein anderer - ein Bewunderer, so schrecklich das auch klingen mag - ihn kopiert hat.«
Katie begriff, daß diese Vermutung alles andere als abwegig war - und gleichzeitig beunruhigend. Der Anruf für Mer rick hatte sie entsetzt, ja, aber sie hatte auch ein wenig Erleich terung verspürt, da sie nun wußte, daß der Killer heute nacht irgendwo anders zugeschlagen hatte. Aber vielleicht hatte die Kreatur, die sie fürchtete, heute nacht nicht zugeschlagen - noch nicht.
Katie murmelte eine Entschuldigung und ging zu dem Schrank im Flur, schloß das Fach mit dem Revolver oben auf und nahm die .357er Magnum heraus, die Merrick ihr gege ben hatte. Sie vergewisserte sich, daß sie geladen war, trug die Waffe ins Wohnzimmer und legte sie auf einen Tisch neben
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