Sohn Der Nacht
sagte Katie.
Wieder im Wohnzimmer, langte Neddie wie um Hilfe suchend nach ihrer Kaffeetasse. Mom brachte die Kanne aus der Küche herein und goß jedem noch etwas nach. Katie nahm einen tiefen Schluck und genoß die warme Flüssigkeit in ihrer Kehle, den kleinen Kick in ihren Venen.
Neddie starrte auf ihre Tasse hinab. »Ich möchte ja keinen von euch grundlos erschrecken. Manchmal irre ich mich auch bei solchen Dingen. Ich sehe nicht immer klar.«
Katie rang sich ein Lächeln ab. »Das ist schon in Ordnung. Ich glaube sowieso nicht, daß ich noch mehr Angst vor die sem Wesen bekommen könnte, als ich ohnehin schon habe.«
Neddie nickte. »Es war in deinem Zimmer. Mehr als ein mal, glaube ich.«
Mom preßte eine Faust auf ihren Mund. »Aber es hat ihr nichts getan.«
»Es ist voller widerstreitender Emotionen«, sagte Neddie. »Sehr machtvolle Gefühle. Haß, Einsamkeit und ein intensives dunkles ... Verlangen. Es ist seltsam, aber ich glaube, ich habe eine solche Kreatur wie diese hier schon vor langer Zeit einmal gespürt. Als ich noch ein kleines Mädchen war, habe ich Mrs. Gaillard besucht - du erinnerst dich noch an sie, Audrey, sie wohnte ungefähr eine Meile von dir entfernt. Ich
hörte den Landungssteg, der über den Sumpf zu ihrer Veranda führte, knarren, und ich blickte aus dem Fenster, konnte aber niemanden entdecken. Das erschreckte mich. Ich rannte zu Mrs. Gaillards Haustür und schob den Riegel vor. Sie sah mich an und fragte: >Was, um alles in der Welt, machst du denn da, Kind?< - Niemand schloß in jenen Tagen seine Haustür ab. Mrs. Gaillard wollte die Tür sofort wieder aufschließen, aber noch bevor sie die Tür erreicht hatte, drehte sich der Griff sehr langsam, nur einmal, und die Tür bewegte sich ein wenig. Dann knackte der Landungssteg wieder, und nach wenigen Minuten spürte ich es nicht mehr. Am nächsten Morgen wurde eine Meile weiter flußabwärts ein gewisser Clyde Lelong vermißt und nie wieder gefunden. Sein Kopf kissen war mit Blut getränkt.«
Katie hörte der Bekannten ihrer Mutter wie einer Märchen erzählerin zu. Diese Geschichte schien mit Moms Geschichte über den Mann, der plötzlich verschwand, als sie ihr Schieß eisen zur Hand nahm, in Verbindung zu stehen. Könnte ein anderes Wesen wie jenes gestern im Krankenhaus die Bayous fünfzig Jahre zuvor heimgesucht haben?
»Hast du irgendein Gefühl dafür, wie dieses Ding ausse hen könnte?« fragte Mom.
»Ein Mann«, sagte Neddie sofort. »Aber ich brauche euch wohl nicht zu erzählen, daß es größere Kräfte hat als gewöhn liche Männer. Es sieht jung aus, glaube ich, aber in Wahrheit ist es sehr alt.« Neddie blickte zum Eßzimmer hinüber. »Son derbar«, sagte sie, »aber als wir alle zusammen zu Abend gegessen haben, habe ich die ganze Zeit gedacht, ich hätte irgend etwas gespürt. Ich habe versucht, mich darauf zu kon zentrieren, aber es verschwand immer wieder. Wenn es im Haus war, müßte das Ding dort hindurchgekommen sein und Spuren hinterlassen haben, es sei denn ...« Neddie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wie ich das genau erklären soll. Das Gefühl, das ich im Eßzimmer hatte, war so ähnlich wie das, das ich gerade in deinem Schlafzimmer hatte, aber es war nicht dasselbe.«
Katie war verwirrt. »Willst du damit sagen, es treiben sich zwei von diesen Dingern hier herum?«
»Entweder das, oder es handelt sich um zwei sehr ver schiedene Persönlichkeiten in einer Person«, sagte Neddie nachdenklich. Sie wollte an ihrem Kaffee nippen, setzte die Tasse dann aber wieder auf den Unterteiler. Einen Augenblick legte sie den Kopf zur Seite, dann wandte sie sich um und blickte durch die Vorhänge hinter der Couch. Katie blickte Mom fragend an, aber diese hob die Schultern.
»Oh, meine Liebe«, flüsterte Neddie. »Ich glaube, es könnte dort draußen sein.«
Katie spürte eine plötzliche Kälte, als wenn ein eisiger Wind durch den Raum geblasen hätte.
»Neddie, bist du ganz sicher?« flüsterte Mom und erhob sich.
»Ja.«
»Wo steckt es?« fragte Katie.
Neddie antwortete nicht. Ihr Blick schweifte unstet durch den ganzen Raum. Katie spürte, wie ihr das Herz bis zum Halse schlug. Sie dachte an Gregory, der oben schlief. »Neddie, sag mir, wo es ist«, sagte sie leise, aber äußerst bestimmt.
»Ich kann es nicht genau sagen.« Neddies Stimme klang plötzlich heiser. »Aber es ist hier.«
Katie eilte in den Windfang und blickte auf die Straße hin aus. Der Streifenwagen stand noch immer an
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