Sohn Der Nacht
er sie umarmt hatte.
Art blickte auf seine Uhr. »Dad, ich gehe jetzt besser zur Kinderstation, und ich weiß, daß du noch ein Flugzeug bekommen mußt.«
Alexander blickte überrascht auf seine Uhr. »Du hast recht. Ich muß mich beeilen.« Er stand auf und schüttelte zuerst Katie, dann seinem Sohn die Hand, zögerte kurz und zog ihn dann zu einer kurzen Umarmung an sich. »Ein Vergnügen, Sie kennengelernt zu haben, Doktor«, und weg war er.
»Danke«, sagte Art.
»Wofür?«
»Daß Sie mich bei Dad so gut haben aussehen lassen.«
»Das waren ganz allein Sie,«
Er blickte sie an, und sie entdeckte etwas in seinem Gesichtsausdruck, das sie bisher nicht gesehen hatte. Eine Sekunde lang wußte sie nicht, was es war, doch dann erin nerte sie sich wieder, wo sie diesen Blick das letzte Mal gese hen hatte: in Merricks Augen, in jener Nacht, als sie sich inein ander verliebt hatten.
O nein, dachte Katie.
Merrick informierte das Team von Detectives, das Captain Rourke zusammengestellt hatte, um ihm bei der Aufklärung des Mordes im Schatten der Kathedrale zu helfen. Er hatte sich auf die Schreibtischkante gesetzt, um besser mit der Spannung fertig zu werden, die ihn gefangen hielt, und sprach leichthin, rein informativ. Als er in die Gesichter vor
ihm blickte, riß ihn ein Anflug von Dejà-vu mehr als hundert Jahre zurück in einen anderen Raum voller Polizisten. Lon don: 1888 - das Jahr mit den Achten. Die nächsten tausend Jahre würde es nicht wieder vorkommen, daß drei Symbole für die Unendlichkeit hintereinander aufgereiht wurden - aber 1888 war das Jahr gewesen, in dem ein Blutsauger fünf Prostituierte in Whitechapel in die Ewigkeit geschickt hatte.
Merrick erinnerte sich wieder, daß er sich an einen Schreib tisch gelehnt hatte, schwerer und reicher verziert als dieser, und sich drei Reihen von Bobbys gegenüber gesehen hatte. In Habachtstellung, gekleidet in die schweren schwarzen Uni formen, zugeknöpft bis zum Hals, hatten diese Bobbys anders ausgesehen als die Männer, die jetzt in ihren Sportjacken und den Rockport-Halbschuhen in seinem Büro herumlungerten. Aber seine Aufgabe war die gleiche gewesen: sie von dem Kil ler fernzuhalten.
Es war nicht leicht gewesen. Für die Polizisten war es ein blutiger Herbst gewesen. Der Killer hatte sie in grenzenloser Gemeinheit mit der Signatur >Jack the Ripper< verhöhnt, und sie waren entschlossen, ihn zur Strecke zu bringen. Solche brutalen, Panik hervorrufende Morde, waren selten bei einem Blutsauger, aber dieser Sauger war noch unerfahren gewesen - kaum fünfzehn Jahre alt - und vom Haß vergiftet. Sein Vater, ein Habenichts aus der Arbeiterklasse, ein gewöhnli cher Sterblicher, war wahnsinnig geworden und dann an Syphilis gestorben, die er sich bei einer Prostituierten zugezo gen hatte.
Ich brauchte zehn Wochen, vom ersten Mord des Rippers an gerechnet, dachte Merrick, ihn zu fangen und zu vergra ben. Zane ist kein grüner Junge - wie viele Leute hat er in fünfhundert Jahren getötet? Vielleicht über zehntausend. Ich habe ihn schon oft gejagt und ihn nie gefangen.
Merrick spürte einen Knoten im Magen. Er verschwendete seine Zeit. Er mußte jetzt draußen auf der Jagd sein.
Aber das hier war ebenfalls wichtig.
»Ganz nebenbei«, sagte er, »Sie wissen alle, daß die tote
Frau Sheila Forrester, die Nichte des britischen Botschafters, war.«
Einer der Detectives stöhnte, und Merrick fragte ihn: »Haben Sie ein Problem?«
»Nein. Ich liebe Druck von oben.«
»Der einzige Druck, den Sie zu befürchten haben, ist der, den Sie von mir kriegen«, sagte Merrick. »Mrs. Forrester hat regelmäßig in der Nähe der Kathedrale gejoggt. Ich möchte also, daß ihr sämtliche Wohnviertel in Wisconsin rund um die Kathedrale herum aufsucht. Redet mit jedem, und zwar eingehend. Irgend jemand könnte etwas beobachtet haben, sich aber nicht mehr erinnern können, ohne daß man ein bißchen nachbohrt.«
Weiteres Stöhnen. Der Auftrag, ein ganzes Wohnviertel auf der Suche nach Informationsbröckchen zu durchkämmen, rangierte in der Unbeliebtheitsskala etwa zwischen der Auswertung von Zeitungen über Schießereien und dem Auftrag, mitten im Winter die ganze Nacht irgendwo rumzuhängen. Merrick mutete seinen Cops so etwas nicht gern zu. Es war absolute Zeitverschwendung. Der Killer war ein Blutsauger. Niemand würde irgend etwas gesehen haben. Aber das würde ihm seine Truppe vom Hals halten - und die Leute am Leben. Wenn sie dem Killer zu nahe kämen,
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