Sohn Der Nacht
würden sie den Fall nicht aufklären. Sie würden ebenfalls sterben.
Aber er durfte sie auch nicht allzu weit von der Fährte ent fernt einsetzen.
Merrick verspürte eine tiefe Frustration. Wie oft hatte er diesen Drahtseilakt seit 1680 nicht schon durchführen müs sen; als er den ersten primitiven Polizeiposten als Gemeinde vorsteher in Berkshire übernommen hatte? Was auch immer in einem Gebiet passierte, die Polizei war in jedem Fall der beste Platz für ihn, Blutsauger ausfindig zu machen. Gleich zeitig war sie aber auch der rechte Platz für die Normalen, seine Witterung in die Nase zu bekommen. Diese Männer und Frauen, die da jetzt vor ihm saßen, waren für ihn ungleich gefährlicher als andere Normale. Von Natur aus mißtrauisch,
konnten die besten von ihnen durchaus etwas zu scharfsinnig sein. Sie könnten ihn beobachten, wie er die Ermittlungen führte. Falls irgendeiner vermutete, daß er versuchte, dem Mörder die eigenen Detectives vom Hals zu halten, dann konnte das der erste Schritt zu seiner Enttarnung sein.
Und es gab keinen Zweifel, wie diese Detectives auf einen Eindringling reagieren würden - einen geborenen Killer. Falls sie ihn nicht fangen und vernichten konnten, würden sie ihn jagen, sein Gesicht in jeder Stadt bekanntmachen, ihn in ein Leben beständiger Einsamkeit verbannen ...
Angst stieg in Merrick hoch. Er kämpfte sie nieder. In zwölf Jahren hier hatte er keinen Fehler gemacht, und er würde auch jetzt keinen begehen. Seine einzige Hoffnung, die mei sten der Sauger zu fangen, bestand in der Information, und innerhalb eines modernen Polizeiapparates zu arbeiten ver schaffte ihm Zugang zu Informationen, die er auf anderen Wegen nicht bekommen konnte. Er war sein Narkotikum geworden, dieser Strom hochkarätiger Daten, die so aussagestark waren und so süchtig machten, daß er sich gar nicht mehr vorstellen konnte, ohne sie zu leben: Statistiken über Ausreißer, Berichte von vermißten Personen, Verletzungsbeispiele in Berichten über Verkehrsunfälle. In den zwölf Mona ten, seit er nach Washington gekommen war, hatte er die Informationen, die in diesen Aufzeichnungen verborgen waren, genutzt, um vierzehn Sauger zur Strecke zu bringen. Er hatte einen jeden von ihnen vergraben, bevor irgend jemand im Department wußte, was vorging.
Unglücklicherweise war es dafür dieses Mal zu spät. Selbst wenn er diesen Sauger fing und vergrub, würden die Detec tives seiner Abteilung noch monatelang nach einem Verdäch tigen suchen. Seit Jack the Ripper waren an die hundert Jahre vergangen, und die Leute versuchten immer noch herauszu finden, wer er war.
»Irgendwelche Fragen?« fragte Merrick.
»Irgendwelche Hinweise darauf, daß der Killer sie belä stigt hat?«
»Keine. Aber das schließt sexuelle Motive nicht aus, wie Sie ja wissen.« Merrick verspürte ein leichtes Schuldgefühl. Zane tötete immer attraktive junge Frauen im gebärfähigen Alter, aber nie - auch nicht bei Laboruntersuchungen - gab es einen Beweis dafür, daß er mit seinen Opfern sexuell verkehrt hätte. Und doch - die Zeit, die die Abteilung damit verschwendete, auch dieser Spur nachzugehen, half, sie von Zane fernzuhal ten.
Einer der Männer, der weiter hinten im Raum am Bücher regal lehnte, straffte sich. »Was ist mit den Fingerabdrücken?«
»Nichts bisher. Ich habe die üblichen Untersuchungen ein geleitet, aber ich habe noch keine Ergebnisse. Falls die Finger abdrücke dieses Killers im nationalen Zentralregister gespeichert sind, werde ich es Sie wissen lassen.«
»Wie kommt es eigentlich, daß Sie immer die angenehm sten Aufgaben dabei übernehmen?«
»Weil ich der Lieutenant bin. Ich dachte, Sie wüßten das. So, und jetzt putzen Sie mal alle schön die Platte.«
Als sie gegangen waren, kam Merrick hinter der Schreibtischkante hervor und ging zum Fenster, wo er auf den Ver kehr unten auf der V-Street blickte. Die angenehmsten Aufga ben, richtig. Wie etwa zu versuchen, die Ergebnisse des Blutreports geheimzuhalten, den Katie Byner erstatten würde. Er mußte die Bedeutung der Ergebnisse dieser Ana lyse irgendwie herunterspielen. Merrick spürte, wie die Haare im Nacken kribbelten. Zane, dachte er. Wie kannst du nur so unvorsichtig sein ...?
Er riß sich zusammen. Noch hatte er keinen Beweis dafür, daß Zane der Killer war. Diese Männer zu einer wilden Schnitzeljagd auszuschicken war eine ganz andere Sache, als selbst loszugaloppieren. Die ungeheuerlichen >Vampir<- Morde, die Zane hier vor zwölf
Weitere Kostenlose Bücher