Sohn Der Nacht
als es mit Jenny sein würde. Die Vorstellung, eine Transfusionstechnik zu entwickeln, hat ja noch nicht einmal meinen Geist ganz in Besitz genommen. Ich habe nur ver sucht, ihn dazu zu bewegen, nur die zu töten, die es am ehe sten verdient hatten - Diebe, Mörder, Vergewaltiger. Von dem Zeitpunkt an, da ich Zane Blut gab, bis zu jenem, da er als Achtzehnjähriger von mir davonlief, habe ich alles auspro biert, was mir einfiel. Fünf Jahre habe ich mit ihm gestritten, ihn angefleht, ihn sogar eingesperrt. Und sobald er auch nur die geringste Chance dazu erhielt, tötete er doch wieder unschuldige junge Frauen.
Eine furchtbare, hilflose Wut überkam Merrick. Unter den streichelnden Fingern spürte er die Knochen von Jennys Rücken, die deutlich unter der verwelkten, am Blutmangel dahingegangenen Haut hervorstachen. Er konnte ihr nicht helfen. Am liebsten hätte er irgend jemanden angeschrien, ihren Fall vorgetragen, wäre statt ihrer gestorben. Aber es gab niemanden, den man anschreien konnte, niemanden, der sein Flehen hörte. Und er konnte nicht sterben, denn selbst er war nicht so stark wie Sandeman.
Noch nicht.
Zane sah sich selbst in einer Gasse, die kein Ende zu haben schien. Er fühlte sich äußerst unwohl. Turmhohe Mauern schlossen ihn von allen Seiten an. Die Finsternis war so tief, daß selbst seine empfindlichen Augen kaum den Boden aus machen konnten. Irgend etwas an diesem Ort war ihm ver traut ...
Er begriff, daß er wieder den Alptraum hatte, und sein Unwohlsein vertiefte sich bis zur schieren Furcht. Wach auf! befahl er sich selbst. Er mühte sich, die Augenlider zu öffnen. Verschwommene Lichtreflexe flackerten kurz auf und ver schwanden wieder und ließen ihn aufs neue in der Gasse zurück. Leises Murmeln erhob sich in dem Schimmer vor
ihm, und dann durchschnitten die Strahlen von Taschenlam pen die Dunkelheit - mindestens dreißig Lichter, vielleicht sogar mehr. In Sekundenschnelle hatten die hin und her zuckenden Taschenlampen ihn erfaßt, und lautes Rufen erhob sich. Er konzentrierte alle seine geistigen Kräfte darauf, bei den Männern vor ihm den Blutzufluß zur Retina zu unterbin den, aber die Menge stürzte vorwärts, und die Wände kanalisierten sie alle wie eine Horde blinder, wahnsinnig gewor dener Ratten. Er schlug nach ihren Stammhirnen, aber die große Menge schwächte die Wirkung auf jeden einzelnen; einige wenige fielen, und der Rest kam weiter auf ihn zu, während ihre Schreie wild vor Erregung wurden. Es war fast, als wüßten sie bereits um die Sauger, wüßten, was sie waren. Wie konnten sie es wissen? Hatte er einen Fehler gemacht?
Wach auf.
Zane versuchte, Kopf und Schultern zu bewegen, sich aus dem Alptraum zu befreien, aber er blieb in der dunklen Gasse. Jetzt liefen auch aus der anderen Richtung Männer auf ihn zu; der einzige Ausweg führte über die Wände. Furcht schärfte seine Sinne und half ihm, die schmalen Fugen zu finden, die er benötigte. Der Mob unter ihm richtete die Taschenlampen nach oben, und ihr Licht warf seinen Schatten auf die Wand über ihm. Er sah, daß auch die Mauerkrone voller Männer war.
»Da ist er!« schrie jemand von oben herunter.
Panik überkam ihn, als er begriff, daß er in der Falle saß. Er versuchte, sich abzuwenden, seitwärts über die Wand zu krie chen, aber plötzlich war die Oberfläche so glatt wie Glas. Er spürte, wie er an ihr hinunterglitt und dann im schwindelerregenden freien Fall von der Wand stürzte. Ein Netz schloß sich um ihn und milderte seinen Fall ab, als es ihn umschloß. Die Männer schwärmten wie Ameisen über ihn her und zogen das Netz immer fester um ihn. Mit seinen Geisteskräf ten wie mit den Fäusten schlug er um sich, aber die Männer türmten sich weiter über ihm. Kaum hatte er einen Teil des Netzes zerrissen, warfen sie bereits ein anderes über ihn. Von
der Gasse trugen sie ihn zu einer verlassenen Stelle. Dort sah er unter lodernden Bogenlampen ein tiefes Loch, umgeben von Bulldozern. Entsetzt schrie er: »Tut es nicht! Bitte, Bitte!«
Sie warfen ihn über die Kante hinein in die Höhle. Im Netz verfangen, gelang es ihm nicht, die Füße unter den Leib zu bekommen. Die Bulldozer setzten sich mit einem bestialisch brummenden Geräusch in Bewegung, und er spürte, wie der Dreck auf ihn herunterfiel. Innerhalb von Sekunden hatte er ihn bis zu den Schultern verschüttet, dann brandete er über seinen Kopf, drang ihm in Ohren und Augen und in seinen Schlund hinunter. Noch ein paar Sekunden länger
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