Sohn der Unendlichkeit
Waffenanwendung.
»Also leben hinter diesen Öffnungen intelligenzbehaftete Wesen. Troglodyten oder Knephanthropen«, murmelte er.
Die Kugel sank abermals tiefer. Er konnte wegen der Lichtverhältnisse nur einen halben Meter in das Loch hineinsehen, erweiterte also seine optische Wahrnehmung in den Infrarotbereich hinein. Er bemerkte dicht hinter dem Eingang drei Gestalten, die sich jetzt an das Seil klammerten und zu ziehen begannen. Das Seil, offensichtlich aus Tiersehnen gedreht, spannte sich stärker, das Tier wurde in die Nähe des Loches gezerrt. Es wehrte sich verbissen, stemmte die dicken, kräftigen Beine in den Untergrund, aber Zentimeter um Zentimeter glitt es, eine tiefe Schleifspur hinter sich, auf die Öffnung zu. Es schrie pausenlos in Todesnot oder voll Furcht oder Wut; aber seine Verteidigung half nichts.
Die Kugel stand regungslos in der Luft.
Der Kampf zwischen den drei Höhlenbewohnern und der Beute dauerte neun Minuten. Dann befand sich der Schädel des Tieres dicht vor dem Loch. Eine blitzschnelle Bewegung – ein Mann sprang heraus, blinzelte mit riesigen Augen in dem grellen Licht und schwang eine doppelschneidige Streitaxt, die Dorian vermutlich nur mit Mühe hätte stemmen können. Mit einem einzigen Schlag spaltete er dem Tier den Schädel, drehte sich um und stieß einen gellenden Schrei aus. Im Ultraschallbereich.
Er trommelte sich auf die Schultern, warf das Beil achtlos ins Loch zurück und schien nach frischer Luft zu schnappen – was vermutlich eine Fiktion war, der Dorian unterlag … und in diesem Augenblick entdeckte ihn der Troglodyt.
Er erstarrte.
Er musterte Dorian V. in seiner Kugel, blickte ihn grimmig an, und eine Bordkamera begann zu surren. Dorian hob in der ersten entscheidenden Geste die rechte Hand und zeigte dem untersetzten, weißhäutigen Mann die Handfläche. Diese Bewegung löste eine Reaktion aus – mit einem mächtigen Satz sprang der Knephanthrop zurück in seinen unterirdischen Gang.
Dorian sah die Infrarotbilder der drei Männer, die das tote Tier ins Loch hineinzerrten, es über den Rand kippten und dann in rasender Eile wegschleppten.
»Der erste Kontakt hat stattgefunden?« fragte sich der Kurier.
Er mußte überlegen. Er würde nicht den Fehler machen, jetzt gleich in die Höhlen und Gänge einzudringen. Zuerst mußte er zurück an Bord und dort die Aufnahmen auswerten und die Analysen lesen, die zahlreiche Testgeräte angefertigt hatten. Er benötigte Zeit.
Zurück zum Schiff! sagte er, und die Kugel gehorchte. Er prägte sich die Oberflächengestalt ein, verfolgte aus größerer Höhe den Lauf des Flusses und beschloß, einen Tag später – der auf Charontes allerdings neununddreißig terranische Stunden dauerte – wieder in dieses Loch einzudringen.
Der Zentralverschluß im Schiff öffnete sich und nahm die Kugel auf.
*
Mit übereinander geschlagenen Beinen saß Dorian in seinem Sessel und blickte zum viertenmal den Film an, der auf dem Riesenschirm ablief.
»Und zum drittenmal auf meiner Reise – Menschen. Humanoide!«
Er blickte kurz hinüber zum Kubus von Amaouri, dann wieder zurück auf den Bildschirm.
Ein Mann, nach irdischem Maßstab etwa vierzig Jahre alt. Untersetzt und sehr muskulös. Bemerkenswert große Augen in einem schmalen Gesicht, das von kurzem Haar umgeben war. Sehr kräftige und schaufelartige Hände. Die Haut des Körpers war sehr hell; der Mann trug nur eine lange, anliegende Hose aus einem schwarzen Material, das wie dünnes Leder aussah und von einem Gürtel gehalten wurde, der ohne jeden Zweifel aus den Rückenplatten eines dieser Beutetiere bestand. Die großen Füße waren unbekleidet. Auffallend waren Fingernägel und Zehennägel ausgebildet. Das ließ darauf schließen, daß sich diese Wesen der Lebensweise unter der Erde angeglichen hatten und ein Gänge grabendes Volk waren.
»Dieser Kopf!« sagte sich Dorian, hielt den Bildträger an und ließ ihn zurücklaufen. Die Kameras hatten automatisch auf Großaufnahme geschaltet.
Der Kopf war absolut menschenähnlich – und war es auf eine merkwürdige Weise auch wieder nicht.
Das Haar schien wie ein Robbenpelz zu sein. Gewisse unterirdisch lebende Terra-Tiere besaßen in ihrem Pelz ein zusätzliches Sinnesorgan; bewegte sich das Haar, dann erfuhr das Tier, ob die Erde locker war, ob sich der Grabarbeit Widerstand entgegenstellte, wie die Oberfläche oder besser Innenfläche der Tunnels beschaffen war. Vermutlich war es bei diesen Menschen nicht
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