Sohn der Verdammnis: Die Chronik der Erzengel. Roman (German Edition)
entschuldigen.« Er trat an die Fensterfront und sprach leise und konzentriert in ein Headset. Jason nahm einen weiteren Schluck von seinem Whisky und ließ dabei Julia nicht aus den Augen. Sie sah ihn böse an. Dann zog sie sich verärgert den schwarzen Schleier wieder vors Gesicht, wandte sich um und ging zu Callum ans Fenster.
»Dad«, zischte Lily, »benimm dich. Kannst du nicht wenigstens dieses eine Mal höflich zu Mama sein?«
Jason starrte stur geradeaus. »Die kurze Antwort ist: Nein.«
»De Vere.« Eine leise Stimme riss ihn aus den Gedanken.
Er drehte sich um. An der Bar stand ein dicker Mann mit käsebleichem Gesicht, der Ende zwanzig oder Anfang dreißig sein mochte. Er trug einen schlecht sitzenden schwarzen Anzug, der bessere Tage gesehen hatte, und darüber einen schmuddeligen gelben Anorak.
Jason musste einen Moment überlegen, bevor er ihn erkannte.
Weaver. Natürlich, Dylan Weaver. Nicks Freund aus der Schulzeit in Gordonstoun. Jetzt irgendwo in der IT -Branche tätig.
Jason streckte die Hand aus. Weaver ignorierte sie. So wie er aussah, fühlte er sich offensichtlich unwohl in dieser Umgebung.
»Sie mögen mich nicht besonders, nicht wahr?«, fragte Jason.
Weaver sah sich verstohlen im Raum um, als suche er nach jemandem. »Das kann man wohl so sagen, De Vere.« Sein Blick blieb an Gruber hängen.
Weaver beugte sich vor. »Treffen Sie mich im The Singing Waitress, Shaftesbury Avenue, in drei Stunden«, sagte er rasch. »Um zehn. Ich bin weg.«
Er schnappte sich eine Handvoll Cocktailwürstchen aus der Schale auf der Bartheke und stopfte sie in die Anoraktasche. Jason konnte ihn nur ungläubig anstarren.
Bevor Weaver abmaschierte, wandte er sich noch einmal zu Jason um.
»Es geht um Nick.«
New Chelsea, London
Julia schloss die Tür zu dem malerischen Londoner Cottage auf, das in dem Viertel lag, welches früher einmal als die Künstler-kolonie der New Chelsea Studios bekannt gewesen war.
Nachdem sie die Alarmanlage ausgeschaltet hatte, nahm sie ihren Hut ab und hängte ihren Mantel aus künstlichem Fuchspelz an den Haken. Sie hob den kleinen Stapel Post von der Fußmatte auf, blätterte ihn durch – und erstarrte. Ein mattweißer Briefumschlag, der handschriftlich an sie adressiert war. Sie kannte die Schrift auf dem Umschlag. Sogar sehr gut. Es war Nicks Handschrift. Sie hätte sie überall wiedererkannt.
Julia legte den Rest der Post auf die Dielenkommode. Ihre Hände zitterten. Dann ging sie ins Wohnzimmer.
Sie drehte den Umschlag um und erkannte das aufgeprägte Wappen von Mont-Saint-Michel. Die Briefmarke war in Pont-orson abgestempelt worden; das war, wie sie sich erinnerte, ein kleiner Ort in der Nähe der Klosterinsel. Bei ihrem letzten Besuch in Mont-Saint-Michel hatte sie den Markt von Pontorson besucht, bevor sie mit Adrian zur Pressekonferenz nach Akaba geflogen war. Sie runzelte die Stirn. Das Datum des Poststempels war der 22 . 12 . Der Tag von Nicks Tod.
Sie nahm einen silbernen Brieföffner und schlitzte den Briefumschlag auf. Dann ließ sie sich auf ihre elfenbeinfarbene Couch sinken. Ein Foto fiel heraus. Sie hob es vom Boden auf und legte es auf den Tisch, bevor sie Nicks Brief herauszog. Er war offenbar in Eile geschrieben worden; das Gekritzel war kaum zu lesen. Aber es war definitiv Nicks Schrift.
Liebe Jules,
Dad war hinter irgendwelchen Leuten her. Er hat was rausgefunden, und dafür haben sie ihn umgebracht. Sie haben mir das Aids verpasst, Jules. Absichtlich. Weil ich ihnen im Weg bin. Es ist eine Gruppe von mächtigen Leuten – Bankiers, Politikern etc. Sie sind hinter mir her. Falls ich es nicht schaffe, gib diesen Brief Jason. Er ist der Einzige, dem ich traue.
Sag Lily, es tut mir so leid. Ich hab dich lieb, Schwesterherz.
Nick.
PS : Ich bin mir nicht sicher, ob Adrian
Der letzte Satz war unvollständig. Julia drehte den Brief um. Die Rückseite war leer. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie nahm das Foto vom Tisch auf.
Auf dem Bild waren vier Männer zu sehen. Sie erkannte einen von ihnen als Jasons Großvater, Julius De Vere. Ein weiterer war Xavier Chessler, Jasons Pate. Sie drehte das Foto um und las die Inschrift.
Die Roben sind hinter den Anzügen. Und dann der Name einer Frau: Aveline.
Julia steckte das Foto wieder in den Umschlag, dann ging sie zur Terrassentür hinüber und starrte hinaus in den kleinen, ummauerten Garten. Ihre Gedanken waren völlig durcheinander.
Sie nahm sich noch einmal den Brief vor und
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