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Sokops Rache

Sokops Rache

Titel: Sokops Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lohmeyer
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– heute etwas weniger wirrhaarig – liegt rauchend auf dem Sofa, den Blick starr in Richtung des Fernsehers gerichtet, ist anscheinend allein. Auf dem Tisch kaum weniger Flaschen als gewohnt, dazwischen Fastfoodverpackungen, Becher, die Kanne einer Kaffeemaschine. Sonja schluckt den letzten Bissen, zieht sich ins
Zimmerinnere zurück, bevor sie die Bierflasche ansetzt.  Das ist eine Ausnahme,  sagt sie sich.  Heute habe ich einen Grund, mich schon vormittags zu betrinken.  Denn eins ist ihr klar: Heute wird Henry sich auf keinen Fall melden, das spricht deutlich aus seinem Verhalten. Wenn er seinen ersten Tag in Freiheit mit ihr hätte verbringen wollen, hätte er auf sie gewartet. Nun wird sie warten. Sie ist stark.
    * * *
    Weller bricht das Schweigen erst hinter dem Kreuz Rostock.
    »Nach Wismar?«
    Henry nickt, sieht seinen Bewährungshelfer dabei nicht an. Weller schaut ebenfalls wieder nach vorn.
    »Viele fahren ja erst einmal nach Hamburg, auf die Reeperbahn – die Sau raus lassen. Kann ich verstehen«, setzt er hinzu.
    »Nein, kein Interesse. Ich möchte die Wohnung ansehen.«
    »Du hast wirklich ein Riesenglück gehabt, schon von der Anstalt aus eine Bleibe zu finden. Musst den Sozialarbeiterkollegen da drinnen ganz gut auf Trab gehalten haben.« Weller grinst Henry an. »Bleibt es übrigens beim Du?« Weller ist bewusst, dass in Freiheit manche Dinge von einem Entlassenen völlig neu bewertet werden. »Ich bin ohne Weiteres zum Siezen bereit, wenn dir das lieber ist. Und falls wir uns in der Stadt begegnen – ich wohne ja auch in Wismar – dann wundere dich nicht, wenn ich dich nicht begrüße. Du entscheidest, ob wir uns in der Öffentlichkeit kennen.«
    Sein Beifahrer winkt ab. »Bleiben wir beim Du. Viel älter als ich bist du ja wohl auch nicht. Das passt doch.«
    Dieser Sokop ist ein ganz Hartgesottener, das hat Weller schnell gespürt. Wegen des Mordes an seinem Vater verurteilt, Tatleugner, hat die fünfzehn Jahre im Strafvollzug genutzt, um ein Studium an der Fernuni Hagen zu absolvieren. Ansonsten unauffällig, keine Disziplinarmaßnahmen gegen ihn in der ganzen Zeit, keine Gewalt, keine Drogen. Äußerlich beherrscht, mit guten Umgangsformen und hohem Bildungsniveau. So einen hat Weller selten unter seinen Jungs und Mädels, wie er die ihm zugeteilten Klienten nennt. In seinem Arbeitsschwerpunkt  Gewaltdelikte  hat er es meist mit sozial und geistig benachteiligten Figuren zu tun. Sokop ist anders. In sein Inneres hat er in den drei Vorgesprächen, die sie in Waldeck miteinander geführt haben, nicht einen Moment lang Einblick gewährt. Aber das wäre auch zu viel verlangt, sagt sich Weller. Schließlich repräsentiert er als Bewährungshelfer die Justiz. Auf einen Wink von ihm kann die süße, neu gewonnene Freiheit wieder zu Ende sein. Daraus macht er nie ein Hehl, obwohl er einen jovialen Umgangston mit seinen Klienten pflegt.
    »Den Entlassungsbeschluss kennst du ja. Wir werden uns 14-tägig treffen. Erscheinst du nicht, lade ich dich schriftlich ein. Reagierst du auch darauf nicht, geht die Meldung an deinen zuständigen Richter.« Er lenkt den BMW mit einer Hand, zieht aus seiner Brusttasche eine Visitenkarte. »Und wenn du mit Grippe im Bett liegst, ruf besser an. Rechtzeitig.« Er grinst. »Dann mache ich nämlich einen Krankenbesuch bei dir.«
    »Schon verstanden.« Henry schaut kurz auf die Karte und steckt sie dann in seine Jacke. »Ulmenstraße. Das ist beim Zeughaus, oder?«
    »Schräg gegenüber, in dem Neubau«, bejaht Weller, stutzt einen Moment. »Oder gab es den etwa vor fünfzehn Jahren noch gar nicht? Ich bin ja im Vergleich mit dir ein Neubürger in Wismar.«
    »Damals war da, glaube ich, irgendein Werksgelände, ein Betonwerk oder so etwas«, entsinnt sich Henry.
    »Dann ist unser Bürohaus wahrscheinlich das ehemalige Verwaltungsgebäude.« Weller schnaubt vergnügt. »Da es keine architektonische Perle ist, habe ich mich für seine Geschichte bisher nicht interessiert. Da geben andere Gebäude mehr her. Du wirst staunen, wie sich Wismar herausgeputzt hat.«
    Während der Wagen das schwarze Band der Autobahn frisst und sich der kleinen Hansestadt am Meer nähert, tauschen die beiden Männer weitere Erinnerungen gegen aktuelle Informationen: Ein aus dem Rheinland stammender Sozialarbeiter, der seit sechs Jahren in Wismar lebt, und ein 1990 aus Westdeutschland hierher Gezogener, der fünfzehn Jahre lang nicht mehr vor Ort gewesen ist.
    * * *

 
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