Sokrats für Manager
Sokrates zum Vorbild nimmt, wird deshalb als ersten Schritt die Fragen identifizieren, bei denen Scheinwissen gefährlich für den Unternehmenserfolg ist. Erst dann wird er in diesem identifizierten wichtigen Problembereich den Prozess des systematischen Hinterfragens be-ginnen. Wie aber können solche Fragen identifiziert werden?
Wahrheitssuche im Dialog
Die einzigartige und vielleicht wichtigste Perspektive, die Sokrates in seinen Ansatz der Weisheitssuche einbrachte, war seine Bereitschaft, sein eigenes Wissen in den Punkten, die er für wichtig hielt, immer wieder kritisch auf den Prüfstand zu stellen. Er war unter seinen Freunden dafür bekannt, dass er manchmal völlig gedankenverloren sein konnte. Einmal war er auf dem Rückweg von einer Feier einfach mitten im Schritt auf der Straße stehen geblieben. Ein Freund sah ihn so, in seinen eigenen Gedanken verloren, einige Stunden stehen, um nachzudenken. Zum Leidwesen vieler seiner Zeitgenossen glaubte Sokrates aber, dass der beste Weg zur Erkenntnis der vorbehaltlose Dialog mit anderen Menschen wäre. Er nutzte diese Kommunikationsmöglichkeit regelmäßig, um sein eigenes Denken anhand der Vorstellungen anderer zu überprüfen. Vor dem Athener Gericht betonte Sokrates noch einmal, dass er nicht aus arroganter Überheblichkeit, sondern aus echtem Interesse, zu zuverlässigen Erkenntnissen zu gelangen, kompromisslos Scheinwissen entlarvte: »Es glauben nämlich jedes Mal die Anwesenden, ich verstände mich selbst darauf, worin ich einen andern zu Schanden mache.« Dem war aber keineswegs so. Sokrates sah seine Art, sich mit dem Wissen eines anderen auseinanderzusetzen, vor allem auch als ein wichtiges Instrument, selbst zu echtem Wissen zu gelangen. In seinen Augen hatte er seinen Gesprächspartnern nur voraus, dass er in der Lage war, zu erkennen, wenn eine Antwort auf eine wesentliche Frage nicht zutreffend war. Dass hieß nicht, dass er die Antwort wusste, es hieß nur, dass er sich nicht mit Falschem oder Unzureichendem zufrieden gab. Viele seiner Mitbürger nahmen Sokrates seine kompromisslose Handlung gegen Scheinwissen übel. Es kollidierte mit ihren Karriereplänen und Lebenslügen. Sie hatten gut damit gelebt, anderen und sich selbst etwas vorzumachen, und sahen nun ihre Lebensgrundlage bedroht. Diese Männer waren wahre Virtuosen, wenn es darum ging, die öffentliche Meinung zu manipulieren und kollektive Entscheidungen so zu beeinflussen, dass diese vor allem dem eigenen Wohl dienten. Sie waren dagegen völlig überfordert, wenn es nötig war, wirklich zu wissen, was für alle Beteiligten langfristig das Beste war. Es ging ihnen nicht um Wissen, sondern um Einfluss. Im Gespräch mit dem Sophisten und Politiker Kallikles, der kompromisslos an das Recht des Stärken glaubte und daran, dass zu viel Philosophieren den Macher nur davon abhalten würde, in seinem Leben seine eigene Stärke erfolgreich einzusetzen, kritisierte Sokrates die Einstellung, dass zu viel Wissen nur schadet: »Und ich habe euch einmal behorcht als ihr beratschlagtet, wie weit man sich mit der Wissenschaft abgeben müsse, und weiß, dass eine solche Meinung unter euch die Oberhand behielt, man müsse es nicht bis aufs Äußerste treiben wollen mit der Philosophie, vielmehr ermahntet ihr euch untereinander, auf eurer Hut zu sein, damit ihr nicht weiser würdet als schicklich, und dadurch unvermerkt in Unglück gerietet.« In der Vergangenheit haben auch viele Manager die Meinung vertreten, dass zu viel Wissen zu Skrupeln führt und die Entscheidungskraft hemmt. Eine solche Haltung mag früher tatsächlich zu mehr Profit geführt haben. Mittlerweile ist sie aber weitgehend überholt. In einer Wissensökonomie mit globaler Verflechtung und Informationsfluss gelten andere Spielregeln. Nun sind kreativitätsfördernde Menschenführung und informationspolitische Transparenz neue Erfolgsfaktoren. In einem Bereich hat sich die Situation allerdings deutlich verschärft: Die Toleranz für Fehler im Management ist deutlich zurückgegangen. Angesichts globaler Konkurrenz gibt es kaum noch die Möglichkeit, Fehler zu machen, die ohne Konsequenzen bleiben. Ein gravierender Fehler ist dabei zunehmend, Nichtwissen zu leugnen und nicht produktiv damit umzugehen. Ein aktuelles Beispiel ist der Fall Siemens , dessen Handy-Sparte nur noch Verluste einfuhr und deshalb 2005 an den taiwanesischen Konzern BenQ verkauft wurde. Dem früheren Siemens -Management der Sparte wird heute vorge-worfen,
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