Sokrats für Manager
stehen-den Philosophien kritisch zu überprüfen und auf ei-ne gesicherte Grundlage zu stellen. Sokrates selbst wäre wahrscheinlich der Alp-traum aller Neuerer im Management gewesen. Er hätte die Grundlagen ihrer Gedankengänge und Schritte kritisch hinterfragt. Welches Menschenbild steht hinter dem jeweiligen Umgang mit den Mitarbeitern? Wie werden die Kunden gesehen? Was sind die grundlegenden Ziele, die ein Unternehmen anstreben sollte? Gibt es mehrere Aspekte, die gesamthaft verwirklicht werden müssen, wenn das Unternehmen erfolgreich sein will? Geht es wirklich nur um Profit für die Investoren, um den Shareholder-Value? Ein Manager, der Sokrates’ Ansatz nutzt, wird durch kritisches Hinterfragen aus der Flut der immer neuen und am Ende oft belanglosen Managementmoden das herausfiltern können, was für seine Arbeit wirklich auf Dauer wertvoll ist. Er wird so nur mit geprüften und schlagkräftigen Konzepten arbeiten und hat daher gute Chancen, auch nachhaltig erfolgreich sein. Wie aber hätte Sokrates diese tiefreichende Erkenntnis von Nichtwissen, verbunden mit einer ernsthaften Suche nach echtem, gesichertem Wissen in die Wege geleitet?
Die Macht des Nichtwissens
Das Verständnis des eigenen Nichtwissens bot Sokrates die Basis für eine der wichtigsten intellektuellen Leistungen der westlichen Geschichte. Es brachte ihn auch direkt in Gegnerschaft zu den meisten Sophisten, die für sich in Anspruch nahmen, die eigentliche intellektuelle Elite Griechenlands zu sein. Die meisten Sophisten waren Relativisten. Sie vertraten keine festen Werte außer dem Erfolg. Es ging ihnen nicht darum, den Menschen dabei zu helfen, nach irgendeinem ethischen Maßstab richtig zu handeln. Genauso wenig ging es ihnen um das Auffinden verlässlicher Wahrheiten, denn sie glaubten meist, dass es gar keine objektiven Wahrheiten gäbe. In ihren Augen schuf sich jeder Mensch nach eigenem Nutzen und Gutdünken seine eigene Wahrheit. Was zählte, war allein die Fähigkeit, andere zur eigenen Sichtweise zu überreden. Dieser Ansatz spiegelt in fast erschreckender Weise das wieder, was wir heute im Management erleben. Nehmen wir zum Beispiel ein Meeting, bei dem das Budget für das kommende Jahr diskutiert werden soll. Kaum einer der Beteiligten wird sich dabei dafür interessieren, was das nächste Jahr wirklich an Herausforderungen bringen könnte, um dann das Budget entsprechend zu gestalten. Jeder will nur den größtmöglichen Anteil für seinen eigenen Bereich sichern. Ob das auch für das Unternehmen als Ganzes sinnvoll ist, bleibt dahinge-stellt. Rein instinktiv weiß ja jeder sowieso, dass produktive Vorhersagen auf Jahresbasis mittlerweile fast unmöglich geworden sind. Besonders brisant werden diese Spekulationen dann, wenn es um die Festlegung der Ziele für die eigene Arbeit oder die Arbeit der Abteilung geht, vor allem wenn ein wesentlicher Teil des eigenen Gehalts von der Zielerreichung abhängt. Da wird dann gerne bei den Zielen tiefgestapelt, beim Budget aber werden maximale Forderungen gestellt. Da die Verwirklichung der Unternehmensstrategien wesentlich von den jeweiligen Budgetzuwei-sungen und Leistungs- und Zielvereinbarungen abhängt, heißt das, dass im Prinzip die gesamte strategische Ausrichtung des Unternehmens jedes Jahr politischen Spielchen und dem Machtpoker von Abteilungen und Bereichen zum Opfer fällt. Sokrates teilte nicht die Meinung der Sophisten, dass alles im Leben relativ und verhandelbar ist, und er würde auch heute die politischen Spielereien in den Unternehmen nicht gutheißen. Selbst Erfolg stand für ihn nur auf tönernen Füßen, wenn er nicht auf tieferem Verständnis und festen Werten gegründet war. Was können wir aus Sokrates’ Sicht des Nichtwissens auch fürs Management lernen? Wo würde Sokrates in unseren Unternehmen wesentliches Nichtwissen identifizieren, und auf welche Fragen würde er unsere Aufmerksamkeit lenken? Sokrates hinterfragte bei weitem nicht alles. Er zeigte sich zum Beispiel gegenüber den Fragen um das Wesen des Kosmos und der Natur weitgehend desinteressiert. Und wenn er wieder an einem Festgelage mit Freunden teilnahm, bei denen er wegen seiner Freundlichkeit und seines Scharfsinns ein gerngesehener Gast war, dann hinterfragte er nicht die Wahl des Essens oder des Weines seines Gastgebers. Sokrates befasste sich nicht mit allen Fragen, sondern ganz speziell nur mit denen, die er für die wichtigen und wesentlichen hielt. Der Manager, der sich
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