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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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die Verantwortung für alle seine Arbeiter, auch wenn die meisten Herren Unternehmer das bisher nicht wahrhaben wollen«, entgegnete Adrian. »Wenn jeder etwas in eine Krankenversicherung einzahlte – Arbeiter und Fabrikbesitzer –, wenn sich also jeder solidarisch verhielte, wäre die Versorgung im Krankheitsfalle leicht gesichert.«
    »Und was hat das mit den Produktionsverhältnissen zu tun, von denen du vorhin gesprochen hast?« Jo schüttelte verwirrt den Kopf. Was für ein seltsames Gespräch sie führten! Noch seltsamer fand sie jedoch, wie wohl sie sich dabei fühlte.
    »Die Krankenversicherung ist nur ein Mosaikstein von vielen«, sagte Adrian. »Mein Hauptanliegen wäre, die Produktion effektiver und somit kostengünstiger zu gestalten, und das nicht zu Lasten der Arbeiter. Sondern durch bessere Maschinen, fließendere Arbeitsabläufe, bessere Einkaufspreise durch ein höheres Einkaufsvolumen …«
    Jo trank einen Schluck ihres inzwischen kalt gewordenen Kaffees. »Für den Fabrikbesitzer mögen sich daraus Vorteile ergeben, aber was hätte der einfache Mann davon?«
    Adrian grinste. »Eine ganze Menge! Denk doch mal: So viele nützliche Produkte sind bisher nur einer reichen Minderheit zugänglich – Nähmaschinen, Waschmaschinen, das Velo. Und das kommt lediglich davon, weil irgendjemand bestimmt, dass es sich dabei um sogenannte ›Luxusgüter‹ handelt, die sich nur sehr wenige leisten können.«
    Jo lachte. »Wie der Verkäufer im Veloladen! In jedem zweiten Satz hat er betont, wie luxuriös und exklusiv seine Räder sind.«
    »Dabei könnte man Velos und vieles mehr sehr viel kostengünstiger produzieren, wenn man es nur wollte.« Adrian beugte sich über den Tisch. »Hast du schon einmal etwas von der sogenannten ›unsichtbaren Hand‹ gehört?«
    Jo verneinte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals mit jemandem gesprochen zu haben, der sich so für eine Sache engagierte. Das Feuer, das beim Erzählen in Adrians Augen brannte – was hätte sie dafür gegeben, wenn es ihr gegolten hätte …
    »Der bekannte englische Ökonom Adam Smith hat als Erster von der ›unsichtbaren Hand‹ gesprochen. In seinem großartigen Buch Der Wohlstand der Nationen beschreibt er, dass, wenn ein Unternehmer seine Produktivität erhöht – und sei es aus purem Eigeninteresse –, er gleichzeitig der Gesellschaft einen großen Dienst erweist.« Adrian nickte, als wollte er die Richtigkeit dieser Aussage unterstreichen.
    »Weil er die Waren dann günstiger produziert und sich mehr Leute die Waren leisten können?« Jo war sich nicht sicher, Adrians Theorie verstanden zu haben, doch sein abermaliges Nicken bestätigte ihre Vermutung.
    »Genauso ist es. Wenn Eigennutz und Gemeinwohl sich treffen, wird der Markt quasi von einer unsichtbaren Hand gesteuert.« Enthusiastisch sprach er weiter: »Stell dir mal vor, was das in der Schlussfolgerung für die Masse der Menschen bedeuten würde: Maschinen zum Kochen, Backen, Putzen und Waschen wären keine Luxusgüter mehr, sondern würden den Alltag von Fabrikarbeitern, Mägden und Hausfrauen erleichtern. Statt den ganzen Samstag mit der Wäsche oder dem Hausputz zu verbringen, könnten die Menschen ihre knappe Freizeit für sinnvolle, schöne Zeitvertreibe nutzen. Zum Velofahren zum Beispiel! Denn auch Velos müssen nicht für immer Luxusgüter bleiben. Wäre das nicht großartig?«
    Jo schluckte beklommen. Wie klug und belesen Adrian war … Aber wovon er jetzt sprach, konnte sie nur allzu gut nachempfinden.
    »Als ich von früh bis spät mit einer Maschine Löcher in Schuhsohlen stanzen musste, bin ich auch fast verrückt geworden vor lauter Langeweile. Wie viel hätte ich dafür gegeben, mit einem Velo dem Elend für ein, zwei Stunden entfliehen zu können!«
    »Was du schon alles erlebt hast«, sagte Adrian, und nun klang in seiner Stimme die Bewunderung mit, die sie gerade noch für ihn empfunden hatte.
    »Daran ist doch wirklich nichts Besonderes«, murmelte sie verlegen. Was würde Adrian erst sagen, wenn er von ihrer Gefängnisstrafe erführe?
    »Doch! Du hast am eigenen Leib erfahren, was Abertausende von Arbeitern täglich ertragen müssen. Ich hingegen kenne deren Los nur aus der Theorie. Natürlich weiß ich, dass ich das Leben der Menschen nicht vollständig ändern kann – es können nun einmal nicht alle in einer Villa leben. Aber vielleicht kann ich dazu beitragen, ihr Dasein erträglicher zu machen«, sagte Adrian voller Enthusiasmus. »Es

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