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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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nicht? Es war nur eine Veloausfahrt, mehr nicht. Sie gab sich einen Ruck und sagte: »Tagsüber habe ich aber keine Zeit zu fahren. Die Werkstatt, die vielen Aufträge – ich arbeite bis spät in den Abend hinein«, sagte sie nicht ohne Stolz. Dass die Leute ihre Werkstatt dermaßen in Anspruch nehmen würden, hätte sie nie für möglich gehalten. Und was das Beste war: Bisher waren alle zufrieden mit ihrer Arbeit. Nur ein Velo hatte noch niemand zur Reparatur gebracht …
    »Und wann gedenkst du dann Velo zu fahren?«, fragte Adrian stirnrunzelnd.
    »Solang die Welt noch schläft«, erwiderte Jo und lächelte ihn herausfordernd an. »Falls der gnädige Herr sich aufraffen kann, könnten wir gleich morgen früh losfahren. Um fünf am Schlesischen Bahnhof!« Ohne seine Antwort abzuwarten, schnappte sie ihr neues Velo, schwang sich auf den schwarzen Ledersattel und brauste los.
    Als Josefine am nächsten Morgen aus dem Haus trat, wurde sie von einer erfrischenden Kühle begrüßt. Der verblühte Flieder in Friedas Garten verströmte einen letzten Hauch Duft, die noch geschlossenen Blüten des Holunders neben ihm warteten darauf, dass es Juni wurde. Ein paar frühe Vögel unterhielten sich angeregt, ein paar Straßen weiter war das Geklapper von Hufen zu hören – wahrscheinlich der Milchmann mit seinem alten Pferd.
    Mit jubilierendem Herzen holte Josefine den Roadster aus der Werkstatt, dann fuhr sie los. Während sie durch die noch schlafende Görlitzer Straße radelte, überfiel sie die Erinnerung an ihre frühmorgendlichen Veloausflüge mit Isabelle. Doch je weiter sie kam, desto weniger dachte sie an früher, und ihre Nervosität stieg.
    Würde Adrian am Schlesischen Bahnhof auf sie warten? Sie wusste nicht einmal, wo er wohnte. Vielleicht war ihm der Weg durch die Stadt zu weit? Oder er war ein Langschläfer, einer, der morgens nicht aus dem Bett kam? Als Sohn reicher Leute konnte er sich bestimmt aussuchen, wann er aufstand.
    Wollte sie überhaupt, dass er auf sie wartete? Adrian war Isabelles Verlobter … War sie im Begriff, etwas zu tun, was gegen ihre Prinzipien ging? Sie wollte nie mehr etwas anfassen, was jemand anderem gehörte. Fremder Besitz war für sie tabu! Wäre es also nicht klüger, allein auszufahren? Noch konnte sie ihre Route ändern …
    Josefine trat kräftiger in die Pedale.
    Sie sah ihn schon von weitem. Und sie ärgerte sich über den Hüpfer, den ihr Herz dabei vollführte. Wie gut er aussah mit seinem blonden Haar, das wie ein Helm glänzte! Sein Körper wirkte so kraftvoll und athletisch, als würde er den Großteil seiner Zeit auf dem Velo oder mit anderen Sportarten verbringen. Vielleicht war das sogar der Fall? Was wusste sie schon von Isabelles Verlobtem …
    Isabelles Verlobtem – vergiss das bloß nicht!, schalt Jo sich.
    Als sie näher kam, stieß Adrian einen bewundernden Pfiff aus und sagte mit hochgezogenen Brauen: »Kein Wunder, dass du für die Velobekleidung beim Händler keinen Blick übrig hattest.« Seine Augen, denen das Morgenlicht einen silbrigen Schimmer verlieh, schauten sie bewundernd an.
    »Was dagegen?«, fragte Josefine eine Spur zu kratzbürstig, während sie das Velo zum Halten brachte. Auf einmal war ihr sein Urteil wichtig. Dabei hatte ihr Augenmerk am Vorabend, als sie auf der Suche nach velotauglicher Kleidung Friedas Kleiderschränke durchforstete, nur auf dem praktischen Aspekt gelegen.
    Dass sie mit einem Rock nicht mehr fahren wollte, hatte sie schon auf ihrer Tour vom Feuerland nach Hause festgestellt – bei jeder Radumdrehung hatte sie Angst, der Stoff könnte sich in den Speichen verheddern. Wie sich die anderen Frauen im Veloverein dieser Gefahr noch immer aussetzen konnten, war ihr schleierhaft.
    Fündig war sie bei ihrer Suche in Friedas Kleiderschrank jedoch nicht geworden – Friedas Röcke waren noch altmodischer und voluminöser als ihre. Aber dann im Schrank von Friedas verstorbenem Mann Robert – oder besser gesagt dort in der hinteren Ecke – hatte sie ihren »Schatz« entdeckt: eine dunkelbraune, handschuhweiche lederne Hose. Ähnliche Beinkleider hatte Josefine bisher nur im Schwarzwald gesehen. Vielleicht war es einmal ein Geschenk von Friedas Neffen gewesen? Triumphierend hatte Jo ihren Fund in die gute Stube getragen und in mühseliger Handarbeit so abgenäht, dass die Hose ihr bis zu den Knöcheln reichte und wie angegossen saß. Dazu trug sie eine dunkelblaue Lodenjacke, die sich ebenfalls nahe an ihren Körper

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