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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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mit einer durchgeschnittenen Gurke darauf – Josefine wusste nicht, wonach sie als Erstes greifen sollte.
    So schweigsam, wie sie zusammen Velo gefahren waren, so schweigsam aßen sie zusammen. Aber es war keine peinliche Stille, wie sie unter Fremden entstand, denen der Gesprächsstoff ausgegangen war. Es war ein angenehmes, ja lustvolles Schweigen. Jo konnte sich nicht erinnern, wann eine Mahlzeit je so köstlich geschmeckt hatte.
    »Sekt und Champagner sind schön und gut, aber das einfache Leben hat auch seine Vorzüge«, sagte Adrian unvermittelt. Sein Blick wanderte voller Sehnsucht aus dem Fenster. »Die Menschen hier – was sie tun, wie sie leben – das ist für mich wahrhaftig!« Er hielt Josefine fragend die letzte Brötchenhälfte hin.
    Sie winkte lachend ab. »Noch ein Bissen mehr und ich komme nicht mehr aufs Rad.« Dann fuhr sie fort: »Von früh bis spät Kutter be- und entladen ist doch nichts Besonderes. Du hingegen – bestimmt hat dein Vater dir eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe anvertraut, oder?« Die Elektronischen Werke Berlin stellten vielerlei technische Geräte her, schon mehrmals hatte in der Zeitung etwas über den Konzern gestanden. Erst vor ein paar Tagen hatte Josefine ein Foto von Adrians Vater Gottlieb Neumann entdeckt. Obwohl es in dem Zeitungsartikel um eine weitere bahnbrechende technische Erfindung gegangen war, die sich der Konzern auf die Fahne schreiben konnte, hatte der alte Herr auf dem Foto sehr streng und unfreundlich dreingeschaut.
    Adrian prustete. »Von wegen! Wenn du glaubst, ich gehöre zu den Ingenieuren, die mit ihrem Wissen einen technischen Coup nach dem anderen landen, hast du dich getäuscht. Ich sitze bloß von früh bis spät im Kontor, muss elend lange Zahlenreihen, die andere zusammengestellt haben, überprüfen, auf dass sich ja nirgendwo der Fehlerteufel eingeschlichen hat! Ich finde allerdings nur selten etwas. Meine Aufgabe könnte jeder durchschnittlich gute Buchhalter erledigen, aber Vater besteht darauf, dass es ›jemand aus der Familie‹ macht. Und dieser Jemand bin leider ich. Ich frage mich wirklich, wofür ich in München Wirtschaftswissenschaften studiert habe!«
    »Wirtschaftswissenschaften«, wiederholte Josefine. Was man sich darunter wohl vorzustellen hatte?
    Adrian nickte. »Wenn Vater nur einsehen würde, dass ich mein beim Studium erworbenes Wissen so viel sinnvoller für die Firma einsetzen könnte. Wie gern würde ich mich mit den Produktionsverhältnissen bei der EWB auseinandersetzen – hier sind die Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft! Und das gilt meiner Ansicht nach für die ganze Industrie.«
    »Du suchst also nach Möglichkeiten, um die Arbeiter noch mehr auszubeuten, als sie es bisher schon werden?«, sagte Josefine spöttisch. Sie spürte Enttäuschung in sich aufkommen. Dass er einer von der Herrenhus’schen Art war, hätte sie nicht gedacht. Warum eigentlich nicht?, höhnte eine giftige Stimme in ihrem Ohr. Sie kannte den Mann doch so gut wie gar nicht. Warum dachte sie also nur Gutes von ihm?
    Adrian schaute sie verwirrt an. »Wer redet denn von der Ausbeutung der Arbeiter? Dagegen muss dringend etwas unternommen werden. Eine Beschränkung der Arbeitszeit auf maximal zwölf Stunden am Tag. Dazu zwei Pausen, in denen die Arbeiter die Fabrik kurz verlassen können, um frische Luft zu schnappen. Dass es Fabrikbesitzer gibt, die ihre Männer regelrecht einsperren, ist ein Unding!«
    Josefine nickte freudig überrascht. Moritz Herrenhus war so jemand. Aus lauter Angst, eine seiner Näherinnen könnte ein Stück Stoff stehlen, mussten die Frauen bei verschlossenen Türen und Fenstern schuften.
    »Seit Wochen dränge ich meinen Vater, sich endlich Gedanken über eine Krankenversicherung für unsere Arbeiter und Angestellten zu machen. Bisher leider ohne Erfolg. Dabei – es kann doch nicht angehen, dass eine Familie am Hungertuch nagt, nur weil die Mutter oder der Vater krank geworden sind und ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen können.« Adrian donnerte die Faust auf den Tisch, das Thema schien ihm an die Nieren zu gehen.
    »Aber …«, begann Jo unsicher, »wenn jemand nicht arbeitet, verdient er nun mal nichts. Wie oft hat mein Vater über höllische Kreuzschmerzen geklagt, trotzdem hat er fünf, sechs Gäule am Tag beschlagen. Sonst wäre kein Geld ins Haus gekommen!«
    »Das mag für einen selbständigen Handwerker gelten. Er trägt allein die Verantwortung für sich. Ein Fabrikbesitzer hingegen trägt

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