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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Hof ist. Wehe, er erwischt uns einmal auf den Berliner Straßen, droht er uns immer.« Lächelnd folgte sie Frieda an ihren Gartentisch, obwohl ihre Gedanken schon wieder sehnsüchtig in Richtung des Herrenhus’schen Anwesens wanderten.
    » Unendlich dankbar ? Das gefällt dem großen Moritz Herrenhus bestimmt. Er liebt es schließlich, angebetet zu werden, und wenn ein junges, hübsches Mädchen wie du das tut …« Frieda stellte einen Teller mit Stachelbeeren auf den Tisch.
    »Wie du das sagst!« Josefine schaute die alte Frau verärgert an. »Isabelles Vater ist ein feiner Mann. Die Stunden mit dem Velo bedeuten alles für mich. Ohne sie würde ich verrückt werden in der ewig düsteren, ewig staubigen Hufschmiedewerkstatt. Weißt du, wie eintönig das ist? Ein Gaul nach dem anderen, von früh bis spät dieselbe Reihenfolge beim Aufhalten der Hufe, vorne rechts, vorne links, hinten rechts, dann hinten links. Dazu das monotone Schlagen von Eisen auf Eisen. Die einschläfernden Zischlaute, um die Pferde zu beruhigen – manchmal könnte ich dabei aus der Haut fahren! Und dann der Schmerz im Rücken und in den Armen nach dem vierten oder fünften Gaul …«
    »Warum suchst du dir dann keine Arbeit, die dir Spaß macht?«, fragte Frieda in einem Ton, als wäre dies das Selbstverständlichste von der Welt.
    Josefine machte eine resignierte Handbewegung. »Ich kann doch meine Eltern nicht einfach im Stich lassen.«
    »Kannst du nicht? Stattdessen willst du dich dein Leben lang von deinem Vater anschreien lassen? Dir von ihm Backpfeifen verpassen lassen wie ein dummer Lehrbub? Du bist jung und klug – willst du für den Rest der Tage Pferdehufe aufhalten und Rossäpfel wegkehren?«
    Woher wusste Frieda von den Backpfeifen? Josefine zuckte mit den Schultern. »Solang ich nebenher Velo fahren kann.«
    »Und was ist aus deinem Traum geworden, selbst einmal ein solches Gefährt zu besitzen?«
    »Das bisschen Trinkgeld, das ich von den Fuhrleuten bekomme, reicht nie und nimmer für dieses teure Vergnügen. Aber irgendwann werden sich die Velofahrer auf den Berliner Straßen durchsetzen, sagt Moritz Herrenhus, und dann werden die Fahrzeuge auch preiswerter. Stell dir vor, mancherorts haben schon Veloziped-Fahrschulen aufgemacht. Herr Herrenhus sagt, dass der Andrang dort groß ist. In geräumigen Hallen – geschützt vor Wind und Wetter – üben feine Herren das Aufsteigen und Fahren. Ein Radfahrlehrer überwacht alles, und Gehilfen gibt es auch. Von Damen, die dort üben, hat er allerdings nichts gesagt. Dennoch – das Velo scheint sich rasant zu verbreiten.«
    »Das ist mir ehrlich gesagt egal«, sagte Frieda. »Was mir nicht egal ist, bist du. Und die Tatsache, dass du so gar nichts aus deinem Leben machst.«
    Josefine schob sich eine Stachelbeere in den Mund und verzog das Gesicht. »Du siehst das alles viel zu schwarz. Vielleicht ergibt sich ja noch eine ungeahnte Möglichkeit für mich«, fügte sie um Friedas willen hinzu, ohne selbst an eine solche Möglichkeit zu glauben.
    Frieda langte über den Tisch und ergriff Josefines rechte Hand. »Auch wenn dir noch so viel am Velofahren liegt, ich sage dir: Lass dich nicht blenden! Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Moritz Herrenhus mag zwar euch jungen Dingern gegenüber fortschrittliche Reden halten, aber seine Bekleidungsfabrik regiert er wie ein alter Feldherr. Die Näherinnen müssen während der Arbeit schweigen, wehe, er erwischt jemanden beim Gespräch. Auf die Toilette dürfen sie auch nur zweimal täglich, eine Pause für eine Mahlzeit gibt es allem Anschein nach gar nicht. Die Fenster zu öffnen ist verboten, dabei ist es in der Fabrik heiß und stickig von all den Stoffflusen in der Luft. Aber Herrenhus hat wohl Angst, dass jemand ein Stück wertvollen Stoff hinausschmuggelt! Sag mir, wie modern ist das?« Herausfordernd schaute Frieda sie an.
    Jo schwieg. Von ihr aus sollten die Arbeiter ruhig in ihrer Fabrik bleiben! Jedes Mal wenn sie mit Isabelle Velo fuhr, hatte sie Angst, dass einer der Fabrikarbeiter seinen Kopf herausstreckte und sie entdeckte. Was, wenn er sie bei ihrem Vater verpfiff? Dann konnte sie das Velofahren vergessen.
    »Und wehe, jemand wagt es, sich über die Arbeitsbedingungen zu beklagen oder gar einen Vorschlag für Verbesserungen anzubringen!«
    Josefine schnaubte. »Haben sich die Leute aus der Straße wieder mal bei dir ausgeheult? Glaubst du, meine ›Arbeitsbedingungen‹ sind einen Deut besser? Ich wäre froh, für

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