Solang die Welt noch schläft (German Edition)
wieder Adeles feindseligen Blick. Die Wortführerin tuschelte mit den um sie herumsitzenden Mädchen und deutete immer wieder in ihre Richtung. Ein, zwei Mal trafen sich dabei ihre Blicke. Jo nahm sich vor, auf der Hut zu sein.
»Und? Weswegen bist du hier?«
Unwillig schaute Josefine die Rothaarige an, die neben ihr Platz genommen hatte. Auch das noch. Sie wusste nicht einmal, wie das Mädchen hieß. Ob es wirklich schwanger war oder nur eine seltsame Figur hatte. Und sie wollte all das auch gar nicht wissen.
»Diebstahl«, antwortete sie kurz angebunden.
»Wenn’s mehr nicht ist …« Die Rothaarige wirkte enttäuscht. »Ich bin reingelegt worden!«, fügte sie hinzu und begann eine langwierige Geschichte zu erzählen, in der drei Freundinnen, ein altes Ehepaar und Geld unter einer Matratze eine Rolle spielten. Dass am Ende der Geschichte das alte Ehepaar tot in seinen schmalen Betten lag, schien die Rothaarige nicht sonderlich zu verstören. Sie habe damit nichts zu tun, betonte sie mehrmals.
Als ob sie, Josefine, das alles interessierte! Sie kaute stumm und wünschte sich, die Ohren so schließen zu können, wie man es mit Augen machen konnte.
»Und genauso bin ich hiermit reingelegt worden.« Das Mädchen schlug mit ihrer rechten Hand grob auf ihren Bauch. »Er würde aufpassen, hat er gesagt. Und dass wir beide Spaß haben würden. Von wegen Spaß! Aber ein Gutes hat die Sache: Ohne Bauch hätten sie mich nach Moabit gesteckt, hierher hat man mich nur gebracht, weil das Weibergefängnis eine Entbindungsstation hat.« Die Rothaarige streckte Josefine eine Hand entgegen. »Ich heiße übrigens Martha!«
Josefine blieb nichts anderes übrig, als die Hand zu ergreifen. Sie war feucht und es klebten ein paar Brotkrümel daran.
»Jo.«
»Zu lang ist dein Name jedenfalls nicht!« Martha lachte. »Und er hört sich eher nach einem Mann an. Aber so, wie ich dich kennengelernt habe, passt er zu dir. Er wirkt sehr … robust.«
Zum ersten Mal, seit sie in diesen Alptraum geraten war, wanderte ein leises Lächeln über Josefines Gesicht. »Das hat schon einmal jemand zu mir gesagt.«
Martha, die Jos Lächeln offenbar als persönlichen Erfolg verbuchte, strahlte. »Eine Freundin? Hast du eine?«
Jo biss schweigend von ihrer Schrippe ab. Und ob sie Freundinnen hatte, sehr gute sogar – die besten, die man sich denken konnte! Mit Clara war sie von Kindesbeinen an befreundet, Isabelle kannte sie ebenfalls von klein auf. Aber richtig angefreundet hatten sie sich erst vor zwei Jahren. Und dann gab es noch Lilo im Schwarzwald.
»Die wollen bestimmt nichts mehr von mir wissen«, sagte sie missmutig. »Wo ich doch den Vater meiner Freundin Isabelle bestohlen und geschädigt habe.« Jo wurde jetzt noch schlecht beim Gedanken daran, wie der Bekleidungsfabrikant Moritz Herrenhus sich in der besagten Nacht aufgeführt hatte. Statt mit ihr zu reden, hatte der Unternehmer sofort Anzeige erstattet.
»Oh«, sagte Martha und sah nicht so betroffen aus, wie sie klang. »Freundinnen!« Sie winkte ab. »Wahrscheinlich haben sie dich auch irgendwie reingelegt und du hast es nicht gemerkt! Das ist schon die zweite Gemeinsamkeit, die wir haben. Die erste ist, dass wir beide gestern hier ankamen.«
Josefine schaute Martha entsetzt an. Was redete sie für Blödsinn? Nichts, aber auch gar nichts hatten sie gemeinsam!
Martha ergriff unbekümmert Josefines rechte Hand und drückte sie fest. »Wenn du magst, kann ich ja deine Freundin sein.«
Josefine riss ihre Hand los. »Nur weil ich dir gestern aus der Patsche geholfen habe, brauchst du nicht anhänglich zu werden wie eine Klette! Dass eines klar ist: Zukünftig kannst du selbst auf dich aufpassen, ich habe nämlich keine Lust –«
Eine schrille Glocke ertönte und hielt Josefine davon ab, Martha weitere Bosheiten ins Gesicht zu schleudern.
Karlheinz Krotzmann hatte das Torhaus des Frauengefängnisses Barnimstraße gerade passiert, als das altbekannte Rumoren in seiner Magengegend begann. Mit verzerrtem Gesicht, als habe er Zahnweh, ließ er seinen Blick über die Anlage schweifen, die vor nicht allzu vielen Jahren auf Beschluss des Königlichen Justizministeriums von namhaften Architekten am Rand des Volksparks Friedrichshain gebaut worden war. Das Königlich-Preußische Weibergefängnis! Ein U-förmiger Bau, der etliche Hundert Insassen beherbergte. Im linken Flügel lagen die Wohnungen der Beamten sowie die Küchenbauten. Das Frauengefängnis hatte sogar ein eigenes
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