Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
schlüpfte, betrachtete sie versonnen ihre wenigen Kleider. »Irmchen, ich glaube, du musst nach Gut Eichen fahren, ich habe kaum etwas zum Anziehen.«
»Du wolltest ja nich mehr mitnehmen.« Irma grinste. »Aber nu scheint et dir ja hier janz jut zu jefallen. Dat jing schneller als jedacht.«
»Nun werd mir mal nicht frech!« Feodora gab dem Mädchen einen liebevollen Klaps mit ihrer Reitpeitsche. Doch Irma hatte recht, Königsberg tat ihr gut. Schon seit einigen Tagen hatte sie nicht mehr ständig an Klaus gedacht. Ab und an verspürte sie einen Stich in der Brust, dann überfiel sie eine schreckliche Sehnsucht, aber dieses Gefühl dauerte nicht mehr tagelang an wie auf Gut Eichen, wo sie an nichts anderes denken konnte als an ihn. Damals hätte sie es niemals für möglich gehalten, aber der Schmerz ließ tatsächlich langsam nach.
»Du fährst am besten gleich morgen. Und sag auf Gut Eichen Bescheid, dass ich erst zur Jagdsaison wiederkommen werde«, sagte Feodora.
Irma sah sie erstaunt an. »Bleiben wir den janzen Sommer in Könichsberrch?«
»Du ja, ich nicht.« Feodora lachte. »Ich reise mit Georg und Edgar nach Zoppot. Übrigens, Ida kommt auch mit. Wie lange wir bleiben, weiß ich noch nicht. Du musst hier auf das Haus aufpassen.«
Irma war nun nicht mehr nur Zofe, sondern gleich nach ihrer Ankunft in der Münzstraße auch zur Hausdame aufgestiegen. Feodora wusste, dass sie sich hundertprozentig auf Irma verlassen konnte und diese ihr jede Intrige unter den Dienstboten sofort melden würde.
»Ich suche schon seit zwei Tagen nach meinen weißen Spitzenhandschuhen. Hast du eine Ahnung, wo sie sein könnten?«
»Vielleicht haste se verloren.«
»Nein, bestimmt nicht. Ich ziehe sie immer erst aus, wenn ich im Haus bin. Du weißt doch, ich bekomme sofort Sommersprossen.«
In dem Moment klopfte es heftig an die Haustür.
»Geh, Irmchen, und sag, ich sei nicht da. Ich bin schon wieder zu spät. Georg erwartet mich bestimmt schon.«
»Die Frau Baronin ist oben …«, hörte sie die Stimme des Dieners.
»Ich muss sie sprechen, sofort.« Das war doch Georgs Stimme. Hatte sie ihn gestern Abend falsch verstanden, waren sie schon früher am Ober-Teich verabredet?
Georg stürzte in ihr Boudoir. Er war kreidebleich, sein Anblick erschreckend. Er war nachlässig gekleidet, sein Gehrock passte nicht zu der Hose, das Hemd stand offen. Noch nie hatte Feodora ihn so gesehen. »Um Gottes willen, Georg, was ist passiert?«
Er ließ sich in einen Sessel fallen. »Edgar hat geheiratet!«
»Ja und …?« Feodora sah ihn verständnislos an. »Was ist daran so schrecklich, warum bringt dich das so aus der Fassung?«
»Er hat mir nichts davon gesagt.«
»Aber, Georg, es wird schon einen Grund geben.« Sie versuchte jetzt, das Ganze ins Lächerliche zu ziehen. »Vielleicht hat er eine Jungfrau geschwängert, und deren Vater hat ihn unter Androhung eines Duells zur Hochzeit gezwungen. Davon geht doch die Welt nicht unter.«
»Du verstehst es nicht.« Er war in heftiges Schluchzen ausgebrochen.
»Nein, in der Tat …« Feodora war ratlos. Was sollte diese bizarre Szene?
»Wir lieben uns. Edgar und ich sind ein Paar.« Sein Weinen wurde lauter. »Wir wollten den Rest unseres Lebens zusammen verbringen. Das haben wir uns geschworen. Aber er hat es nicht gewagt, sich seinem Vater zu widersetzen. Der hat ihn gezwungen zu heiraten. Es soll ein Schlosserbe her.«
Es dauerte eine Weile, bis Feodora die Sprache wiederfand. »Aber ihr seid doch Männer …«, sagte sie hilflos. »Das ist doch verboten … soviel ich weiß.«
»Ja, das ist es. Homosexualität ist ein gesellschaftliches Tabu. Es steht unter Strafe.« Georg lachte unfroh. »Mein Vater nennt solche Leute Hinterlader.« Er rannte jetzt aufgeregt hin und her. »Glaub mir, wir haben dagegen angekämpft, beide. Aber es half nichts.« Er wischte seine Augen mit einem großen weißen Taschentuch. »Wir lieben uns, Edgar und ich. Und nun hat er mich verlassen.« Wieder versagte ihm die Stimme.
»Woher weißt du es denn? War Edgar hier?«
»Nein, er hat es mir geschrieben. Der Brief war heute in der Post. Er ist genauso verzweifelt wie ich.« Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Einen Erben soll er produzieren. Der arme Edgar. Es muss schrecklich für ihn sein.«
Feodora saß da wie ein unglückliches kleines Mädchen. Diese Sache überforderte sie. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so etwas gehört, zwei Männer, die sich liebten, total absurd kam ihr das vor, und
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