Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
überhaupt … das Wort Homosexualität! »Wissen es … weiß es deine Familie?«, fragte sie, um überhaupt etwas zu sagen.
»Um Gottes willen.« In seinem Blick war Panik. »Es weiß niemand außer dir. Du bist meine beste Freundin. Ich musste einfach mit jemandem reden. Es darf kein Mensch davon erfahren. Es wäre mein gesellschaftlicher Tod. Und wahrscheinlich käme ich ins Gefängnis. Wenn es rauskommt, erschieße ich mich.« Er nahm Feodoras Hände. »Bitte, Feda, ich flehe dich an. Sprich mit keinem Menschen darüber.«
»Ich kann Geheimnisse sehr gut bewahren, lieber Freund. Auf mich kannst du dich verlassen.« Sie erzählte ihm von Klaus, ihrer heimlichen großen Liebe, wie sehr sie ihn vermisste und dass sie ihn wohl nie mehr wiedersehen würde. Und dann weinten sie gemeinsam über ihr verlorenes Glück. An einen Ausritt war an diesem Tag nicht mehr zu denken.
Georg war ein Dandy und dazu ein auffallend schöner, hochgewachsener Mann. Er kleidete sich stets nach der neuesten Mode und rauchte orientalische Zigaretten aus einer silbernen Spitze. Seine etwas zu langen, schwarzen Haare waren mit Brillantine glatt nach hinten gekämmt, und in seinem bartlosen, blassen und immer etwas müden Gesicht leuchteten auffallend blaue Augen. Georg war auch ein Schöngeist. Er hatte es nicht nötig, einer geregelten Beschäftigung nachzugehen. Das Erbe seiner Mutter ermöglichte ihm ein sorgenfreies Leben. Er reiste viel, schrieb darüber Berichte und kleine Essays, die hin und wieder in verschiedenen Zeitungen abgedruckt wurden, und so konnte er zu Recht Fragen nach seinem Beruf mit »Schriftsteller« beantworten. Heimlich schrieb er Gedichte, die er aber noch nie jemandem gezeigt hatte.
Feodora war für ihn in jeglicher Hinsicht ein Glücksfall. Wenn er anfing zu träumen: »Vielleicht kommt Edgar ja zurück! Er wird es nicht aushalten bei dieser Frau«, dann holtesie ihn in die Wirklichkeit zurück. »Es ist vorbei, Georg. Du musst nach vorn schauen. Du hast deine Liebe verloren und ich auch. Aber wir sind jung, reich und sehen noch dazu nicht schlecht aus. Also werden wir das Leben jetzt genießen.«
Immer wieder holte sie ihn aus den Tiefen seiner Verzweiflung heraus, obwohl sie selbst manchmal Hilfe gebraucht hätte. Und sie war sein Alibi. Niemand kam auf die Idee, er wäre dem weiblichen Geschlecht nicht zugetan. Sein Charme und sein Witz machten ihn zum Liebling der Königsberger Gesellschaft, und manche Mutter hätte ihn allzu gern zum Schwiegersohn gehabt.
Sie verbrachten einige Wochen in Zoppot. Anfänglich hatte Georg gejammert: »Nein, ohne Edgar, das kann ich nicht!« Aber Feodora hatte darauf bestanden. »Das Haus ist gemietet, wir haben Ida eingeladen, eine Menge Freunde werden dort sein. Nun nimm dich zusammen, Georg. Auch andere Mütter haben schöne Söhne.« Da musste er schon wieder lachen.
Das von Georg gemietete Haus lag direkt am Strand. Es war eine Dependance des unmittelbar daneben liegenden Grand Hotels, und man genoß alle Annehmlichkeiten des großen Hotels.
Als Feodora am ersten Morgen die Augen aufschlug – es war eine lange und ausschweifende Nacht gewesen –, weckte sie eine weibliche Stimme, die ihr bekannt vorkam. »Das Frühstück, gnädige Frau. Sie hatten es für zehn Uhr bestellt.«
Sie rieb sich die Augen. Das Mädchen öffnete die Vorhänge, und da erkannte Feodora sie. »Erna, was für eine Überraschung. Weißt du noch, wer ich bin?«
»Ja, natürlich, die Baronin von Harden.« Erna war sichtlich verlegen. Der schöne junge Mann im Nebenzimmer war zweifellos nicht der alte Baron. »Sie waren vor gar nicht langer Zeit hier im Hotel, auf Ihrer Hochzeitsreise.«
»Ja, und nun bin ich schon Witwe.«
Erna fand, dass das nicht sehr traurig klang. Trotzdem sagte sie pflichtbewusst: »Wie schrecklich, so jung und schon verwitwet. Mein Beileid, Frau Baronin.«
Feodora sprang aus dem Bett. »Danke, Erna«, sagte sie fröhlich. »Und nun hilf mir beim Ankleiden. Und würdest du mir bitte am Abend wieder die Haare machen? Keiner hat es bisher geschafft, meine widerspenstigen Locken so zu bändigen wie du seinerzeit.«
Die Wochen in Zoppot vergingen wie im Flug. Feodora erschien es wie ein einziger Rausch. Tagsüber trieben sie Sport, schwammen oder ritten am Strand um die Wette, nachmittags flanierten sie auf der Strandpromenade, wo man sicher sein konnte, immer zur gleichen Zeit die kaiserliche Familie mit ihrer Entourage und den fünf kleinen Prinzen zu treffen. Kaiserin
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