Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
Tageskleid aus grauem Samt, besetzt mit fliederfarbenen Taftbändern.
»Das ist meine neueste Kreation«, sagte Worth. »Wie Sie erkennen, hat es keine Krinoline mehr, sondern eine Tournüre.« Er erhob sich schwer atmend und erklärte Natascha das Besondere an seiner neuen Erfindung. »Wie Sie sehen, ist der Rock lang und vorne eng. Ich würde sagen: figurbetont.« Er drehte das Mannequin, um die Rückfront zu zeigen. »Über einem Polster wird dann der Rockstoff üppig drapiert und endet in einer Schleppe.«
Natascha war begeistert. »Es ist wundervoll! Kann ich es sofort anprobieren?«
So kannte Leopold seine Frau gar nicht. »Wenn es passt, kannst du es vielleicht mitnehmen.«
»Ist das möglich, Monsieur Worth?« Natascha war ganz aufgeregt.
» Bien sûr, Madame «, sagte Worth mit einem Lächeln. »Ich bin mir sicher, Sie werden darin Furore machen.«
Nicht alle seine Kundinnen hatten bisher so enthusiastisch auf dieses neue Modell reagiert. Kaiserin Eugénie hatte es sogar strikt abgelehnt, es zu probieren. Sie fand es vulgär! Aber das verschwieg er lieber. Erst ein paar Jahre später sollte die Krinoline vollständig von der Tournüre abgelöst werden.
Natascha bestellte noch mehrere Kleider und zu jedem Modell passende Handschuhe sowie Handtaschen von Thierry Hermès.
»Diese macht er exklusiv für mich , Madame la Comtesse» , bemerkte Worth stolz. Als sie sich noch ein Reitkleid aussuchte, sagte er: »Thierry Hermès fertigt in Europa die schönsten und exklusivsten Sättel an. Sie sollten ihn unbedingt besuchen, wenn Sie schon in Paris sind.«
So gingen sie am nächsten Tag in die Rue Basse de Ramport und bestellten gleich zwei herrliche Sättel. Auch bei Cartier schauten sie vorbei, und als sie Paris verließen, hatte Leopold ein kleines Vermögen ausgegeben. Aber es war ihm egal. Seine Frau schien so glücklich wie nie zuvor, und er war unendlich stolz auf sie. Wo immer sie auftauchten, zog sie alle Blicke auf sich.
Sie nahmen in der Via Appia außerhalb von Rom Quartier. Frederico D’Alba, ein Freund Leopolds, war für ein Jahr auf Weltreise und hatte ihnen sein prachtvolles Landhaus für ihrenItalienaufenthalt zur Verfügung gestellt. »Ich bin untröstlich, dass ich nicht zu Deiner Hochzeit kommen kann« , hatte er an Leopold geschrieben, »aber meine Reise ist schon seit Ewigkeiten geplant, und alles ist gebucht. Ich werde nicht einmal da sein, um Euch zu begrüßen. Aber betrachte mein Haus als Dein Haus. Die Bediensteten haben Anweisung, Dich und Deine schöne Frau (ist sie wirklich so schön, wie alle sagen?) wie Könige zu behandeln.«
Und so war es auch. Jeder Wunsch wurde ihnen von den Augen abgelesen. Die Köchin verwöhnte sie mit den köstlichsten italienischen Speisen, und jeden Morgen wartete der Kutscher mit einem Zweispänner, um ihnen die Sehenswürdigkeiten Roms und seiner Umgebung zu zeigen. Frederico hatte einen Plan mit den Dingen gemacht, die sie sich auf keinen Fall entgehen lassen durften. »Wahrscheinlich komme ich eher nach Ostpreußen, als Ihr wieder hierherkommt« , hatte er noch geschrieben.
Das Wetter war herrlich. Fast immer schien die Sonne von einem wolkenlosen Himmel. Die Temperaturen waren angenehm mild, und Ostpreußen, wo bereits tiefer Winter herrschte, war unwirklich weit entfernt.
Natascha war eine leidenschaftliche Geliebte. Es hatte lange gedauert, bis sie sich Leopold gegenüber etwas mehr öffnete. Jetzt, weit weg von ihrer alten Heimat Russland und der bald neuen Heimat Ostpreußen, war sie gelöst, lachte mehr und verlor etwas von ihrer Kühle. Nur ab und an schien sie in sich gekehrt, wirkte verschlossen und kalt. Dann wanderte sie allein durch den herrlichen Park, saß längere Zeit auf einer Bank in dem etwas entfernt liegenden Zypressenhain und erschien erst wieder, wenn der Gong für die nächste Mahlzeit ertönte. Leopold störte das nicht.Er war verrückt nach ihr. Sie liebten sich jede Nacht, und in der höchsten Erregung schrie sie auf Russisch Dinge, die Leopold nicht verstand. Immer wieder fiel das Wort Pjotr, aber da er der Sprache nicht mächtig war, maß er dem keine Bedeutung bei.
Ende November traten sie die Heimreise an. Bereits seit einiger Zeit hatte Natascha über morgendliche Übelkeit geklagt. »Wahrscheinlich bekommt dir das ungewohnte Essen nicht, das viele Öl und die süßen Kuchen«, sagte Leopold, und Natascha meinte: »Ich glaube eher, es sind die schweren Weine. Wir saufen ja schon fast wie die
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