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Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)

Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)

Titel: Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Schulze-Lackner
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mitleidig an seinen Freund. Was war nur mit dieser Natascha los. Warum freute sie sich nicht? Im Gegenteil, sie schien eher verzweifelt. Aber der nächste Krankenbesuch lenkte ihn von diesem Thema ab. Es gab wahrlich Schlimmeres als verwöhnte reiche Frauen, die eine Schwangerschaft offenbar als Strafe ansahen.

1870
     
    S

eit Stunden schon ertönten gellende Schreie aus dem Seitenflügel bis in den kleinen Salon, in dem Leopold aufgeregt auf und ab lief. Seine Frau lag in den Wehen.
    Die Zeit war ihm endlos vorgekommen, bis Erna Kubischke, die alte Hebamme, erschien. »Da bist du ja endlich«, hatte er sie angefahren.
    Die kleine, rundliche Frau, die weit über sechzig war, hatte nur milde gelächelt. »Nu reg dir man nich uff«, sagte sie in breitestem Ostpreußisch. »Ik hab dir und deiner Schwester uff diese herrliche Welt verholfen, also wer ik det man och noch bei deinen Kinderchen schaffen.« Frau Kubischke duzte alle, die sie auf die Welt gebracht hatte, egal welches Alter und welchen Titel sie hatten. »Nu mach dir man vom Acker, Mannsbilder können wir hier nich jebrauchen.«
    Er hatte noch kurz vor der Schlafzimmertür gestanden, aber dann eingesehen, dass er nur störte. Dienstmädchen waren an ihm vorbeigerannt, sie schleppten Tröge mit heißem Wasser und saubere Tücher. Und so hatte er sich mit einer Flasche altem Scotch in den Salon zurückgezogen.
    Inzwischen war die Flasche fast leer, und leicht benebelt dachte Leopold zurück an die vergangenen Monate. Wie glücklich waren sie auf ihrer herrlichen Hochzeitsreise gewesen: Paris, die verschwenderischen Einkäufe bei Worth, Hermès und Cartier; Rom, die ewige Stadt mit ihren geschichtsträchtigenSehenswürdigkeiten und ihrer traumhaften Umgebung. Wie hatten sie sich geliebt in den lauen Nächten, weinselig und nicht an morgen denkend. Seit ihrer Rückkehr war alles anders. Das Glück und ihre Vertrautheit – nichts davon war mehr da. Die Schwangerschaft und »das damit verbundene Unwohlsein«, wie Natascha sich ausdrückte, hatten sie darauf bestehen lassen, von nun an getrennt zu schlafen. An manchen Tagen erschien sie nicht einmal zu den gemeinsamen Mahlzeiten. Wenn Leopold bei ihr klopfte, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, ließ Olga, ihre russische Zofe, ihn nicht herein. »Die Frrrau Grräffin fihlen sich serr schlecht. Mechte nicht gesterrt werrden«, sagte sie nur.
    Konrad Grüben kam regelmäßig, um nach Natascha zu sehen. Jedes Mal trank er mit seinem Freund einen Schnaps, und einmal fragte der ihn: »Benehmen sich alle schwangeren Frauen so merkwürdig? Ich verstehe meine Frau nicht.«
    »Nein, alter Freund, Gott sei Dank nicht. Die Schwangerschaft verläuft ganz normal. Du solltest eigentlich am besten wissen, was in ihr vorgeht. Aber vielleicht sind Russinnen anders als die Frauen hier.« Zum Abschied klopfte er Leopold mitleidig auf die Schulter. »Es wird schon wieder, alter Lorbas. Warte nur, bis euer Erbe da ist.«
    Der Erbe! Es war für Natascha selbstverständlich, dass sie einen Sohn erwartete. Es gab eine Liste mit Namen für einen Jungen. Mädchen hatten darauf keinen Platz. Hin und wieder bekam Natascha Post aus St. Petersburg. Dann war sie für eine Weile wie ausgewechselt, erschien zu den Mahlzeiten und ließ kleine Zärtlichkeiten zu. Einmal fragte Leopold, wer ihr denn geschrieben habe. »Na, wer schon! Väterchen natürlich«, sagte sie aufbrausend. Danach fragte er nie wieder.
    Manchmal verspürte Leopold das Verlangen, einen dieser Briefe zu lesen, die seine Frau in so heitere Stimmung versetzten. Aber sie waren in kyrillischer Schrift, unlesbar für ihn. Und jemanden zu bitten, den Brief zu übersetzen, verbot ihm sein Ehrenkodex. Oder war es die Angst, etwas zu erfahren, das er gar nicht wissen wollte?
    Als die Lieferungen aus Paris ankamen, wurden die riesigen Pakete auf Anweisung von Natascha unausgepackt auf den Speicher gebracht. »Was soll ich jetzt damit. Nichts davon wird mir passen. Ich gleiche einer Tonne«, hatte sie launisch gesagt.
    In diesen Monaten trank Leopold zu viel. Oft fuhr er auch zum Glücksspiel nach Königsberg, wo er dann ein paar Tage blieb. Noch hielten Gewinn und Verlust sich die Waage, und er trank nicht, wenn er spielte. Hin und wieder besuchte er Hanno und Carla auf Buchenhain. Natürlich blieb ihnen sein Unglück nicht verborgen, obwohl er es vermied, darüber zu sprechen. Carla wusste ohnehin über alles Bescheid, was sich auf Troyenfeld zutrug. Elfriedes Mutter war dort

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