Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
die falsche Frau geheiratet hatte.
Noch am selben Abend ließ er den Raum neben seinem Schlafzimmer für Feodora und die Amme herrichten. Er wollte dieses kleine Wesen so nah wie möglich bei sich haben. Er würde ihm all die Liebe geben, die seine Mutter ihm offensichtlich verwehrte.
Am nächsten Morgen erschien Carla auf Troyenfeld. Leopold saß gerade beim Frühstück. »Du weißt es also schon?«, begrüßte er seine Schwester.
»Du kennst das doch, solche Nachrichten verbreiten sich wie ein Lauffeuer.«
Nachdem Alfons ihr einen Kaffee eingegossen und sich wieder vor die Anrichte gestellt hatte, sagte sie freundlich: »Alfons, würden Sie mich bitte mit meinem Bruder allein lassen.«
»Sehr wohl, Frau Baronin.« Mit beleidigter Miene zog dieser sich zurück.
»Sag mal, Leopold, hast du den Verstand verloren?« Carla versuchte, so leise wie möglich zu sprechen, weil sie sich sicher war, dass der Diener an der Tür lauschte. »Warum lässt du das zu? Eine Mutter gehört zu ihrem Kind.«
»Ich habe ihr vor der Hochzeit versprochen, dass sie jederzeit nach St. Petersburg fahren kann. Allein! Das weißt du doch.«
Carla war außer sich. »Kaum ist sie aus dem Wochenbett raus, da lässt sie dich und das Kind allein. Findest du das normal? Ach, es ist einfach unmöglich. Ich verstehe dich nicht.« Ihre Stimme war jetzt so laut, dass die im Park arbeitenden Gärtner die Köpfe hoben und lauschten. »Du hättest es ihr verbieten müssen!«
»Glaubst du, Natascha lässt sich etwas verbieten? Da kennst du sie aber schlecht!« Leopold lachte unfroh. »Wenn sie reisen will, dann tut sie es, ob es mir passt oder nicht.«
»Und wann gedenkt die Dame, hier wieder zu erscheinen?«
»Ich weiß es nicht.« Leopold sah seine Schwester traurig an. »Es ist mir auch egal. Die Hauptsache ist, sie kommt überhaupt zurück.«
Mit einem Mal war Carlas Wut verraucht. »Mein armer kleiner Bruder.« Sie nahm ihn zärtlich in den Arm. »›Gegen Liebe ist kein Kraut gewachsen‹, sagt Emma immer.« Auf der Herfahrt hatte sie sich fest vorgenommen, ihm vorzuschlagen, sich scheiden zu lassen. Aber nun wusste sie, dass jedes weitere Wort sinnlos war.
Es klopfte leise, und die Amme kam herein. Auf dem Arm trug sie Feodora, die satt und frisch gewickelt war. Strahlend nahm Leopold sie auf den Schoss. Seine Traurigkeit schien verflogen. »Ich habe Anweisung gegeben, sie mir jeden Morgenzu bringen. Ich will sie bei mir haben, sooft es geht.« Er machte eine kurze Pause. »Vielleicht wird ja doch noch alles gut, wenn Natascha wieder da ist …«
Carla erkannte ihren Bruder nicht wieder.
Währenddessen saß Elfriede bei ihrer Mutter Emma in der geräumigen Schlossküche. Am Morgen, als Carla nach Troyenfeld aufbrach, hatte Elfriede sie gefragt: »Kannste heute nich mal mit der Kutsche fahren und mir mitnehmen? Ik möchte jern mal nach Muttchen sehn und en bisken mit ihr schabbern. Sie is ja man och nich mehr die Jüngste.«
»Ja gern, Elfriede. Sei so nett und sag Kurt, er soll den Landauer anspannen.«
Kurt Plenzat war Kutscher auf Buchenhain und mit Elfriede verheiratet. Sie hatten vier Kinder, drei davon waren schon erwachsen und ebenfalls in den Diensten der Harvichs. Fritz, ihr Nachzügler, war ein frecher, kleiner Rotzlümmel und gerade in einer fürchterlichen Trotzphase. »Du lässt ihm zu viel durchgehen«, sagte Carla manchmal, wenn Elfriede ihr wieder einmal von einem seiner Streiche erzählte. Aber jetzt hatte sie sich fest vorgenommen, nichts mehr zu sagen. Wer wusste schon, wie sie reagieren würde, wenn sie so einen kleinen Jungen hätte.
Bevor sie zu Leopold gegangen war, hatte sie Emma, die alte Mamsell, begrüßt. »Na, wie geht es dir. Macht die Arbeit noch Spaß?«
»Jeht man so.« Emma blickte Carla traurig an. »Dat Jrafchen« – so nannte sie Leopold seit seiner Kindheit – »is ja man so unjlücklich.«
»Ich weiß, Emma, du Gute.« Carla strich ihr liebevoll über den Rücken. »Ich werde gleich mit ihm reden. So geht das nicht weiter.«
»Wird nischt nützen, Kindchen.« Emma wiegte bekümmert ihren mit einer weißen Haube bedeckten Kopf. »Jejen Liebe is keen Kraut nich jewachsen.« Sie seufzte tief. »Aber det wir nu wieder so’n armet Würmchen in unserm Schloss haben mit keener Mutter nich …«
»Nun sieh mal nicht so schwarz, Emma. Meine Mutter war tot. Vielleicht besinnt sich meine Schwägerin ja noch und erinnert sich daran, dass sie ein Kind hat.«
»Wär schön, aber jlob ik
Weitere Kostenlose Bücher