Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
Harvich, und meine Schwester alle Vollmachten.«
»Was redest du da?« Carla stand wie erstarrt in der Tür. »Warum solltest du nicht zurück…?«
»Es ist Krieg«, unterbrach Leopold sie ruhig. »Ich habe nur Vorsorge getroffen, falls ich falle.« Er reichte seinen Bediensteten die Hand. »Leben Sie wohl, Frau Steinle, Herr Kochta, und wir wollen doch alle hoffen auf bald.«
Carla wartete, bis die beiden die Tür hinter sich geschlossen hatten. »Von welchen Vollmachten hast du da eben gesprochen?«
»Ich habe letzte Nacht mein Testament gemacht. Man muss den Tatsachen ins Auge sehen. Es kommt schließlich vor, dass man in einem Krieg ums Leben kommt. Sollte ich tatsächlich fallen, ist alles geregelt. Feodora ist meine Alleinerbin. Wenn Natascha bei ihrer Tochter bleiben will, hat sie lebenslanges Wohnrecht auf Troyenfeld. Sollte sie nach St. Petersburg zurückkehren oder auch nur ein einziges Mal in meiner Abwesenheit dorthin fahren wollen, zahlt ihr bitte ihre Mitgift zurück.«
»Aber das musst du doch nicht«, warf Carla zaghaft ein.
»Ich wünsche es aber. Damit verliert sie alle Rechte an Feda. Ich habe euch als Erziehungsberechtigte eingesetzt. Es ist euch doch recht?«
»Aber ja, natürlich.«
»Gut«, fuhr er fort. »Wenn sie Schwierigkeiten macht, will ich, auch posthum, eine Scheidung. Die Gründe findet ihr in diesem Schreiben.« Er reichte Carla ein dickes, versiegeltesKuvert. »Und noch eine Bitte. Öffnet es nur nach meinem Tod.«
Carla brach jetzt in Tränen aus. »Bitte, pass auf dich auf, und komm heil wieder zurück. Lass von dir hören. Wenn ich weiß, wo du bist, kann ich dir schreiben, wie es Feda geht, und überhaupt …«
»Du kannst alle Briefe an die Garnison in Königsberg schicken. Die Post wird mir von dort nachgesandt.« Er schwieg einen Augenblick. »Es wäre schön, von dir und Feda zu hören.«
In dem Moment stürmte sein Freund Hilmar von Alvenshagen herein. »Wir müssen los, alter Freund«, rief er aufgeregt. Dann erst sah er Carla, die zusammengesunken und weinend in einem Sessel kauerte. »Ja, Carla, warum weinst du denn? Wir ziehen in den Krieg.« Er strahlte. »Das ist doch ein Grund zur Freude. Wir werden die Franzosen wie die Hasen jagen.«
»Die werden die Preußen jetzt kennenlernen«, stimmte Leopold begeistert zu.
Lachend und sich gegenseitig auf die Schultern klopfend verließen sie das Schloss. Carla winkte ihnen nach, bis sie auf ihren Pferden in einer Staubwolke verschwunden waren.
Am Abend gab sie Hanno das Kuvert. »Es ist Leopolds Testament. Er hat Angst, aus dem Krieg nicht lebend zurückzukommen«, sagte sie. »Wir dürfen das Kuvert nur nach seinem Tod öffnen.«
»Ja, das ist doch wohl selbstverständlich.« Hanno sah seine Frau kopfschüttelnd an.
»Ich glaube, er weiß alles von Natascha und dem Russen, na du weißt schon.« Sie wagte das Wort Liebhaber nicht auszusprechen. »Er schien ernsthaft besorgt. Aber als Alvenshagenkam, um ihn abzuholen, war er wie verwandelt. Die beiden haben sich aufgeführt wie zwei übermütige Jungen, die zur Jagd gehen.« Sie rollte die Augen. »Sie wollen die Franzosen jagen wie die Hasen, hast du so etwas Schwachsinniges schon mal gehört? Ich glaube, mein Bruder hat den Verstand verloren.«
»Ach, wäre ich doch nur jünger …«, seufzte Hanno.
Carla sah ihn fassungslos an. »Ich glaube, du auch … Ach, gib mir einen Cognac, einen großen!«
Es sollte noch zehn Tage dauern, bis Natascha auf Troyenfeld eintraf. In dieser Zeit war Carla täglich bei Feodora, herzte und küsste sie. »Sie ist ja so süß. Am liebsten würde ich sie entführen, um sie vor ihrer Rabenmutter zu schützen«, sagte sie zu Hanno.
»Nun warte doch mal ab. Vielleicht ist Natascha ja inzwischen zur Besinnung gekommen und entdeckt plötzlich ihre Muttergefühle.« Hanno fand die Sorge seiner Frau um ihre kleine Nichte reichlich übertrieben. »Ich fühle mich in der letzten Zeit schon sehr von dir vernachlässigt«, brummte er. »Ich sehe dich ja kaum noch! Hoffentlich hat das bald ein Ende.«
»Nun übertreib man nicht«, sagte Carla lachend. »Wir frühstücken jeden Morgen zusammen, und abends bin ich auch immer da. Und wie oft hast du mich allein gelassen, um mit Kölichen Whist zu spielen oder mit deinen Freunden auf die Jagd zu gehen?«
Es war ein heißer Tag Ende Juli. Carla saß auf der Terrasse von Troyenfeld. Obwohl es schon Spätnachmittag war, war es kaum kühler geworden. Der Diener servierte ihr eine kalte
Weitere Kostenlose Bücher