Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
gesundheitlich.«
»Was denkst du, was ich tun soll?«, fragte Leopold verzweifelt. »Wie soll es denn nun weitergehen mit uns?«
»Wenn du deine Frau behalten willst, musst du Geduld haben. Sie scheint euren Sohn zu lieben, und wie nur wir beide wissen, zieht sie nun nichts mehr nach St. Petersburg. Ich weiß nicht, ob du ihr verzeihen kannst …« Er schwieg betreten. Wie würde er wohl in solch einer Situation reagieren? Er wusste es nicht. »Und noch einen freundschaftlichen Rat gebe ich dir, lieber Leopold. Du solltest nicht so viel trinken. Mit Alkohol wirst du deine Probleme nicht lösen.«
Über Nacht war es Frühling geworden. Die Bäume des weitläufigen Parks zeigten bereits ein zartes Grün, und auf den Beeten blühten die ersten Frühlingsblumen in bunter Pracht. Auf den im Tal liegenden Weiden grasten schon wieder Kühe, und in den Koppeln tobten die neu geborenen Fohlen mit den Mutterstuten. Leopold genoss die ersten warmen Sonnenstrahlen auf der Terrasse, auf seinem Schoß saß Feodora. Er las ihr ein Märchen von Hans Christian Andersen vor. Eng an ihn geschmiegt hörte sie aufmerksam zu, und wenn er eine Pause machte, sagte sie mit ihrem piepsigen Stimmchen: »Papa lieb, Papa ganz lieb.«
»Dein Papa hat dich auch ganz lieb, mein Herzenskind«, erwiderte er und drückte ihr einen Kuss auf ihre dunkelroten Locken.
Unbemerkt von ihnen war Natascha auf die Terrasse getreten, auf dem Arm hielt sie ihren kleinen Sohn. Regungslos beobachtete sie die rührende Szene. Dann sagte sie: »Feodora, möchtest du nicht endlich deinen kleinen Bruder kennenlernen?«
Leopold war fasziniert von ihrem Anblick. Mein Gott, wie schön sie ist , dachte er, als er sich erhob, um ihr die Hand zu küssen. »Ich freue mich, euch beide wohlauf zu sehen«, sagte er und nahm ihr vorsichtig das winzige Kind ab. »Schau mal, Feda, mein Liebling. Das ist Rüdiger, dein Brüderchen.« Auf diesen Namen hatten sie sich schon lange vor der Geburt geeinigt.
»Rüdi«, sagte Feodora strahlend. »Rüdi lieb.« Zärtlich streichelte sie ihm mit ihrer kleinen Hand über die blasse Wange.
Der Diener erschien, in den Händen hielt er ein Tablett mit Tee, Gebäck und Saft.
»Danke, Alfons«, sagte Natascha. »Das wird mir jetzt guttun.«
Leopold glaubte, sich verhört zu haben. Das Wort »Danke« war in ihrem Wortschatz bisher kaum vorgekommen, schon gar nicht bei der Dienerschaft.
Alfons erzählte Emma später: »Die Jnädije hat mich angelächelt. Das erste Mal, seit sie auf Troyenfeld ist.«
»Erbarmung«, war die Reaktion der alten Mamsell.
Ein paar Tage später zog Natascha wieder in das gemeinsame Schlafzimmer, zusammen mit Rüdiger. »Ich muss ihn alle drei Stunden stillen«, hatte sie zu Leopold gesagt. »Erweint auch viel. Wenn dich das stört, bleibe ich mit ihm in meinem Boudoir.«
»Als du nicht da warst, habe ich Feodora auch immer zu mir geholt, wenn sie geweint hat. Also warum sollte mich das bei meinem Sohn stören?« Es war kein Vorwurf in seiner Stimme, und Natascha ging nicht weiter darauf ein.
Über den Brief wurde nie mehr gesprochen, auch das Thema St. Petersburg war Geschichte. Natascha war wie ausgewechselt. Ab und an kam ein Brief von ihrem Vater. Dann lachte sie und berichtete Leopold, was der wieder angestellt hatte. »Es ist verrückt, mein Väterchen, total verrückt. Es schmeißt das Geld zum Fenster heraus. Gott sei Dank hat es ja genug davon.« Als der Fürst ein paar Jahre später bei einem Saufgelage starb, hinterließ er allerdings eine stattliche Summe Schulden.
Eine Kinderfrau hatte die Stelle der Amme eingenommen, da deren Dienste nicht mehr gebraucht wurden. Man hatte ihr gesagt, dass zwei kleine Kinder zu betreuen seien, aber es war eigentlich nur Feodora, um die sie sich zu kümmern hatte. Die Kinderfrau hieß Else, und Feodora schloss sie sofort in ihr Herz. Else schlief mit ihr in der Nachtkinderstube, und wenn sie sich fürchtete, weil der Uhu wieder so laut schrie oder in mondhellen Nächten riesige Fledermäuse am Fenster vorbeihuschten, kuschelte sie sich zitternd an den warmen, weichen Busen der Kinderfrau und sagte: »Elschen lieb.«
»Aber du wirst dat man nich der Mama sagen«, flüsterte Else dann. »Se wird nich wollen, dat dat Fedachen Angst hat.«
Zu Elses Erleichterung hielt Feodora dicht. Sie befürchtete zu Recht, dass Natascha einen zu engen Kontakt mit dem Dienstpersonal missbilligen würde.
An Rüdiger ließ Natascha keinen heran. Sie stillte und wickelte ihn
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