Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
bettlägerig?«
»Nein, sie will sich nicht hinlegen. Sie ist in der Küche, Elfriede ist bei ihr.«
»Ich werde sofort nach ihr sehen.« Er wandte sich an Alfons, der ihm die Tür geöffnet hatte. »Sagen Sie den Herrschaften, dass ich in zehn Minuten bei ihnen bin.«
Auf der Ofenbank nah bei dem wärmenden Herd fand er Mutter und Tochter. Elfriede blickte ihn besorgt an. »Muttchenjefällt mir jar nich, Herr Doktor. Aber se will nich im Bett bleiben. Se denkt, et jet nich ohne ihr.«
»Na wo fehlt’s denn, Emma? Ich habe schon von Frau Steinle gehört, dass es Ihnen nicht gut geht.«
»Ach, Dokterche …« Die alte Mamsell blickte ihn bekümmert an. »Et zwickt mir immer so in die Jedärme. Die Winde wollen nich mehr so, und och die Verdauung … Ik weeß nich …«
»Na, dann woll’n wir mal sehen.« Nach einer kurzen Untersuchung strich er ihr freundlich über die eingefallenen Wangen. »Das gefällt mir aber gar nicht. Sie haben stark abgenommen. Ich lasse Ihnen ein Pülverchen da. Nehmen Sie davon morgens, mittags und abends einen halben Teelöffel. Und sie müssen essen, damit Sie wieder zu Kräften kommen.«
Emma schüttelte bekümmert ihren mit dem weißen Häubchen bedeckten Kopf. »Ik bin ja so unappetitlich, Dokterche. Dat Essen lacht mir ja an, aber ik krieg man nuscht nich runter.«
»Ruhen Sie sich mal ein paar Tage aus. Das wird Ihnen guttun. Ich werde in den nächsten Tagen wieder nach Ihnen sehen.« Er drehte sich zu Elfriede. »Sorgen Sie dafür, dass Ihre Mutter im Bett bleibt. Sie kann unmöglich den ganzen Tag in der Küche stehen.«
»Dat jeht nich. Wer soll denn bei de Jagd kochen?« Emma rang verzweifelt die Hände.
»Nu lass man, Muttche.« Elfriede legte ihr beruhigend den Arm um die Schultern. »Ik fühl mir schon janz überflüssig in Buchenhain. Bisset dir wieder besser jeht, helf ik hier aus.«
»Wunderbar«, rief Frau Steinle, die eben die Küche betreten hatte. »Ich habe mir schon vorhin erlaubt, den HerrnGrafen darauf anzusprechen. Er ist damit einverstanden. Übrigens, heute ist Post von der Baronin Harvich gekommen.« Sie zog das Kuvert aus ihrer Tasche. »Für Sie war auch etwas dabei, Emma.«
»Erbarmerche«, rief die Mamsell. »Wat für eine Freude.« Ihr blasses Gesicht bekam vor Aufregung rote Flecken. »Da fühl ik mir ja jleich besser. Lies vor, Elfriedchen.«
Leopold ging unruhig vor dem Ankleidezimmer seiner Frau auf und ab. »Natascha, wir müssen los. Man erwartet uns pünktlich in Weischkehmen. Was tust du da so lange?«
»Ich weiß nicht, was ich zum Anziehen mitnehmen soll.«
»Wir sind nur für drei Tage dort. Alle deine Kleider sind wunderbar. Lass Olga irgendetwas einpacken.« Er hasste es, unpünktlich zu sein. Es dauerte noch zwanzig Minuten, bis Natascha reisefertig in der Halle erschien, hinter ihr liefen zwei Lakaien, die einen riesigen Koffer schleppten und dann auf der Kutsche verstauten.
»Goelders werden glauben, dass du bis Ostern bleiben willst«, sagte Leopold lachend. Und bei sich dachte er: Ob wohl alle Frauen so verrückt sind wie meine?
Es war ein herrlicher Herbsttag. Die Sonne strahlte von einem stahlblauen Himmel. Sie fuhren durch goldgelb gefärbte Birkenhaine, vorbei an endlosen Stoppelfeldern und abgegrasten fleckigen Wiesen, auf denen Scharen fetter Krähen sich laut krächzend zu unterhalten schienen. Noch hielt das bunt gefärbte Laub an den Bäumen, aber bald würden, wie jedes Jahr, die wilden Herbststürme sie kahl geweht haben.
Als sie reichlich verspätet in Weischkehmen ankamen, wurden sie von Agathe und Gustav Goelder herzlich begrüßt.»Charlotta kann es gar nicht erwarten, dich zu sehen«, sagte Gustav. »Sie fürchtete schon, ihr würdet überhaupt nicht erscheinen.« Er lachte. »Und mein Bruder Mathias erst! Er will der Erste auf deiner Tanzkarte sein.«
»Euer Gepäck ist bereits auf dem Zimmer«, sagte Agathe. »Meier wird euch den Weg zeigen.« Meier war der Erste Diener auf Weischkehmen. Seinen Vornamen wusste keiner. Er hieß einfach Meier. »Wir erwarten euch in einer halben Stunde im Gartensaal zu einem Begrüßungstrunk. Dann gibt es ein frühes Abendessen. Morgen müssen wir ja zeitig auf die Pirsch.«
»Wir ziehen uns nur schnell um«, sagte Leopold, »und werden pünktlich erscheinen.«
Natascha brauchte natürlich wieder länger für ihre Toilette. Ihr vom Fahrtwind gerötetes Gesicht bedeckte sie gleichmäßig mit weißem Puder, die Augen umrandete sie schwarz und zog den Mund dunkelrot
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