Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
Ziele des Instituts war zweifellos, den jungen Damen den letzten Schliff in puncto Stil und Etikette mitzugeben, um auf die zu erwarteten Heiratskandidaten den besten Eindruck zu machen. So lernten sie, die Gräten eines Fisches, wenn die beim besten Willen nicht heruntergeschlucktwerden konnten, so unauffällig wie möglich erst auf die Gabel und dann auf den Teller zu legen und dass man Fettränder vom Fleisch zwar abschneiden, aber nicht auf den Tellerrand schieben durfte. Wenn man das Haus verließ, hatte man einen Hut und weiße Handschuhe zu tragen, und zwar blütenweiße, bitte sehr! Das alles waren Dinge, an die Feodora sich nur sehr langsam gewöhnte.
Sie beteiligte sich jedoch eifrig am Unterricht, es machte ihr Spaß, und dort wurde sie auch oft gelobt, was ihr wichtiger war, als sich in das Goldene Buch einzutragen. Geschichte und Englisch waren ihre Lieblingsfächer, was wohl vor allem daran lag, dass sie die Lehrerin, Fräulein Pasquier, glühend verehrte. Auch Ida himmelte sie an. Sie verfassten gemeinsam schwärmerische Gedichte für sie, in denen eine die andere zu übertreffen versuchte, die aber weder Fräulein Pasquier noch sonst jemand je zu lesen bekam. »Warum sie wohl Lehrerin geworden ist?«, wunderten sich die Mädchen. »Sie ist so hübsch und vornehm, ob sie wohl eine unglückliche Liebe hatte?« Zu gern hätten sie mehr über ihr Idol erfahren, aber das würde wohl immer ein Geheimnis bleiben.
Irma arbeitete nun als Mamsell auf Troyenfeld. Sie bekam jetzt auch ein Gehalt, was sie unheimlich stolz machte.
Feodora hatte sie angewiesen, ihr sofort zu schreiben, wenn sich auf Troyenfeld etwas Bemerkenswertes ereignen würde. »Siehst du, Irmchen«, hatte sie gesagt, »wie gut es ist, dass ich dir schreiben beigebracht habe. Ich schreibe dir auch, wie es in dieser Schule ist. Versprochen.«
Sehr oft schrieb Irma nicht. Und wenn, waren ihre Briefe gespickt mit Fehlern, aber das störte Feodora nicht. Die Nachrichten aus Troyenfeld waren nicht beunruhigend, das war die Hauptsache. Auch als Irma berichtete, FeodorasMutter sei in letzter Zeit fröhlicher – was wohl mit dem Besuch eines älteren Herrn zu tun habe, der bereits mehrmals da gewesen sei, dessen Namen sie aber nicht kenne –, dachte Feodora sich nichts dabei. Die Schule, die Großstadt mit den vielen neuen Eindrücken und die verstohlenen Blicke der feschen Kadetten, die ihnen oft bei ihren Spaziergängen im Schlosspark begegneten, waren viel interessanter als irgendwelche Besuche älterer Herren bei ihren Eltern.
1888
J
ulia von Pulkendorf lebte sich schnell auf Buchenhain ein, und bald war sie Carla unentbehrlich geworden. Gemeinsam besuchten sie all die Nachbarn, die Carla jahrelang nicht gesehen hatte, und fuhren für kleine Einkäufe nach Insterburg, wo sie im Kaffeehaus ein Glas Likör oder einen Kaffee tranken. Ab und zu gingen sie in Königsberg in die Oper oder ins Theater.
Aber zuerst besuchten sie immer Julias Mutter. Als sie Ende März bei ihr vorbeischauten, hatte sie gerade einen Brief ihrer kaiserlichen Cousine erhalten. »Augusta ist untröstlich über den Tod von Wilhelm«, berichtete sie. »Ich kann diese Trauer nun wirklich nicht verstehen, wo er doch immer seine Mätressen hatte.«
»Nun, Mamachen, sie hat ihn eben geliebt«, sagte Julia.
»Aber er sie nicht! Das wusste doch jeder. Er hat sie ja nur geheiratet, weil sein Vater ihm eine Hochzeit mit der Russin, dieser Elisa Radziwill, verboten hatte. Eine solche Mesalliance kam für ihn nicht infrage. Ganz Weimar hat das gewusst.« Sie schnaubte empört in ihr kleines Spitzentaschentuch. »Und immer hat er sie kritisiert. Sie war einfach zu intelligent für ihn.« Sie lächelte. »Einmal hat sie zu mir gesagt: ›Mein Wilhelm versteht mich einfach nicht. Er hat zweifellos einen edlen Charakter, aber manchmal ist er ein wenig einfältig.‹«
»Schreibt sie etwas über den Gesundheitszustand des Kronprinzen? Man munkelt, er sei schwer krank und könne nicht einmal an der Beerdigung seines Vaters teilnehmen.«
»Ja, das stimmt. Er soll Kehlkopfkrebs haben, ist das nicht schrecklich?«
»Der Arme. Wie nimmt es denn Victoria …?«
»Augustas Mitleid mit Victoria hält sich in Grenzen. Sie schreibt, Victorias Traum, für längere Zeit Kaiserin zu sein, werde sich nun wohl nicht erfüllen. Aber du weißt ja, die beiden konnten sich nie besonders gut leiden.«
An den vorgeschriebenen Besuchstagen fuhren sie auch zu Feodora ins Institut. Manchmal
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