Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
nach Klein Darkehmen zu fahren. Im Sommer ist die Schule ja zu Ende, dann ist sie wieder ganz bei euch. Ich hoffe, es ist euch recht.«
»Ja, ja natürlich.« Leopold schien direkt erleichtert. Es fiel Carla auf, dass er es diesmal vermied, seine Frau anzusehen.
Den ganzen Heimritt über schwiegen die beiden Damen, jede hing ihren Gedanken nach. Erst als sie sich umgezogen und zum Tee in der Bibliothek trafen, fragte Carla: »Was hältst du von diesem Menschen, diesem Baron von Harden?«
»Ich finde ihn, gelinde ausgedrückt, grässlich. Eigentlich alles an ihm.«
»Ja, diese behaarten Hände, und dann die Schwitzerei. Aus welchem Grund hat Natascha bloß so einen Narren an ihm gefressen? Es passt gar nicht zu ihr.«
»Das ist mir auch schleierhaft. In all den Jahren auf Troyenfeld habe ich sie nie so erlebt.«
»Sie werden ihn doch wohl hoffentlich nicht mit mir verkuppeln wollen?«
Julia lachte hell auf. »Ich traue deiner Schwägerin ja einiges zu, aber eine solche Pietätlosigkeit, eine Woche nach der Todesnachricht von Hanno, nein, das wirklich nicht.«
Sie rätselten noch eine Weile, aber dann servierte Emil ihnen ein leichtes Abendbrot, danach spielten sie eine Partie Bézique, und bald war dieser ominöse Baron kein Thema mehr. Für zu unwichtig hielten sie ihn, diesen Parvenü, unter ihrem Niveau!
Bereits vier Wochen später traf der Sarg mit Hannos Leichnam auf Buchenhain ein. Die Beerdigung wühlte noch einmal alles in Carla auf. Vor ihrem geistigen Auge zogen die vielen langen glücklichen Jahre vorbei, und ein letztes Mal ließ sie ihrem Schmerz mit einem Schwall Tränen freien Lauf. Aber bald gewann ihre frohe Natur wieder die Oberhand. Sie hatte sich wieder gefasst. »Julia«, sagte sie ernst, »ich kenne deine Pläne, dich später in ein Damenstift einzukaufen. Bitte, verlass mich nicht. Bleib bei mir auf Buchenhain, für immer, bitte.«
»Mit dem größten Vergnügen, Carla! Warum sollte es für mich erstrebenswerter sein, meine letzten Jahre mit mir unbekannten, uralten, schrulligen Damen der Gesellschaft zu verbringen als mit dir, meiner liebsten Freundin. Wie du weißt, habe ich etwas gespart, und wenn dir mal das Geld ausgeht, dann leben wir eben von meinem.«
Es war seit Wochen das erste Mal, dass Carla wieder herzhaft lachte. »So weit wird es hoffentlich nicht kommen, aber es ist beruhigend, das zu wissen.«
Mitte Juni starb Kaiser Friedrich III. »Unter unerträglichen Schmerzen«, wie die alte Baronin von Pulkendorf ihrer Tochter und Carla berichtete. »Nur drei Monate hatte er regieren dürfen, der Arme, wo er und vor allem Victoria so lange auf die Kaiserwürde gewartet haben. Aber Augusta ist glücklich, dass sie die Krönung ihres geliebten Enkels noch miterleben kann. Sie wollte mich unbedingt dabeihaben, aber du weißt ja, Julia, auf so lange Reisen habe ich keine Lust mehr und auch keine Kraft mehr dazu. Augusta wird mir sicher alles berichten.«
Das Dreikaiserjahr beschäftigte alle Gemüter. So etwas hatte es noch nie gegeben! Die Zeitungen waren tagelang voll davon.
Aber eine andere Nachricht beschäftigte Carla noch viel mehr. Wieder war Kölichen der Überbringer dieser Neuigkeit. »Man munkelt in Königsberg, ein Unbekannter hätte alle Schuldscheine von Leopold aufgekauft. Was sagt ihr dazu, wisst ihr etwas darüber?«
»Nein!«, riefen Carla und Julia gleichzeitig. »Wer sollte denn so etwas tun und warum?«
»Vielleicht hat Leopold wieder Land verkauft«, vermutete Carla.
»Nein, nein, das wüsste ich. Solche Dinge mache immer ich für ihn.« Kölichen schüttelte den Kopf. »Da ist auch nicht mehr viel zu verkaufen.«
»Erinnerst du dich, Carla? Irma hat doch kürzlich erzählt, dass seit einiger Zeit gar keine Leute mehr kommen und mit irgendwelchen Gegenständen das Schloss verlassen.«
»Ja, du hast recht. Das habe ich ganz vergessen. Aber könnte Natascha vielleicht noch eine Erbschaft gemacht haben?« Carla blickte Kölichen fragend an.
»Soweit ich weiß, hatte sie außer dem Fürsten keine näheren Verwandten mehr, und der war hoch verschuldet. Das hat mir Leopold damals erzählt.«
Niemand hatte eine Idee, wer Leopolds neuer Wohltäter sein könnte. Doch das Rätsel sollte, zu ihrem Entsetzen, bald gelöst sein.
Heute sollte Feodora aus Königsberg nach Hause zurückkehren. Es war ein warmer Sommertag. Leopold und Natascha saßen auf der Terrasse und tranken ihren Nachmittagstee.
»Erwarten die Herrschaften außer der Komtess noch
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