Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
bekommen. Was soll ich bloß tun, kannst du mir helfen, Carla?«
»Du weißt, dass auch wir bei dem Zusammenbruch der Banken unser Vermögen verloren haben. Um finanzielle Dinge habe ich mich nie gekümmert. Aber wir werden eine Lösung finden.« Sie erhob sich. »Ich fahre jetzt nach Hause. Ich muss eine Nacht darüber schlafen. Morgen sehen wir weiter.«
Carla fand in dieser Nacht keinen Schlaf. Sie machte sich selbst die größten Vorwürfe. Hätte sie doch nur auf ihre innereStimme gehört und wäre früher zurückgekommen. Von Jahr zu Jahr war sie unruhiger geworden, hatte Hanno gedrängt, endlich seinen Abschied zu nehmen. Aber er hatte sie immer wieder vertröstet. Bis sie sich zu seinem Entsetzen entschloss, allein zu reisen.
»Bist du von allen guten Geistern verlassen?«, hatte er getobt. »Das kommt überhaupt nicht infrage, das erlaube ich nicht, und damit basta!«
Aber sie ließ nicht locker. »Ich habe solche Sehnsucht nach Ostpreußen«, sagte sie immer wieder. »Nach meiner kleinen Nichte und meinem Bruder. Aus ihren Briefen erfahre ich kaum, wie es ihnen wirklich geht. Bitte, Hanno, lass mich reisen.«
Und irgendwann gab er auf. »Also gut, dann fahr du vor«, hatte er resigniert gesagt. »Ich verspreche dir, in einem Jahr bin ich auch auf Buchenhain.«
Und tatsächlich, noch in ihrem Beisein schrieb er sein Abschiedsgesuch nach Berlin. Und so war sie glücklich mit dem größten Teil ihres Hausstandes vorausgereist.
Zu ihrer großen Freude fand sie das Gut in bestem Zustand vor. Herr Schröder, inzwischen verheiratet und gesegnet mit einer Schar von Kindern, hatte hervorragend gewirtschaftet. Trotz des horrenden Verlustes bei der Weltwirtschaftskrise würde sie keine finanziellen Sorgen haben. Aber keinesfalls langte das Geld, um die Spielschulden ihres Bruders zu tilgen oder gar Troyenfeld vor dem weiteren Verfall zu retten.
Ihre ganze Sorge galt nun Feodora. Was war sie doch für ein entzückendes Mädchen geworden. Natürlich hatte sie im Laufe der Jahre Fotografien von ihr geschickt bekommen. Aber seit der letzten Aufnahme war einige Zeit vergangen,und statt des schüchtern wirkenden Kindes in einem weißen Spitzenkleid stand plötzlich ein junges, hochgewachsenes Wesen vor ihr, im Reitkostüm, mit zerzausten Locken und roten Wangen, das ihr wild und ungestüm um den Hals fiel. »Tante Carla«, hatte Feodora gerufen, »wo kommst du denn so plötzlich her? Was für eine Freude! Du musst mir alles über Neuseeland erzählen. Wenn ich erwachsen bin, will ich reisen, nichts als reisen.« Viel mehr hatten sie bisher nicht miteinander reden können, zu sehr war Carla damit beschäftigt gewesen, sich auf Buchenhain wieder häuslich einzurichten.
Blass, mit dunklen Rändern unter den Augen kam sie am Tag nach dem Gespräch mit Leopold wieder nach Troyenfeld. Als Erstes sprach sie mit Fräulein von Pulkendorf. Die beiden Damen spazierten Arm in Arm durch den verschneiten Park. »Ich muss etwas mit Ihnen besprechen, Julia«, begann Carla. »Ich möchte, dass Feodora auf eine angesehene Schule für höhere Töchter kommt. Ich weiß, Sie haben alles für sie getan. Aber sie muss mit gleichaltrigen Mädchen ihrer Gesellschaftsschicht zusammenkommen, in den Kreisen verkehren, in die sie einmal einheiraten soll.«
»Ich verstehe Sie, Carla. Ich bin ganz Ihrer Meinung. Das Kind verwildert hier total. Aber die wirtschaftlichen Verhältnisse Ihres Bruders … Sie werden ja wohl wissen, wie es um Troyenfeld bestellt ist …« Sie zögerte weiterzusprechen.
»Ich weiß, meine Liebe, es ist kein Pfennig Geld mehr da. Ich werde die Kosten übernehmen.«
»Wie großzügig von Ihnen. Das freut mich sehr für Feodora. Ich habe sie nämlich sehr lieb gewonnen in all den Jahren.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Ich werde mich sofort um eine neue Stelle bemühen.«
»Nein, das müssen Sie nicht.« Carla drückte den Arm der Gouvernante. »Ich biete Ihnen hiermit die Stelle als meine Gesellschafterin an.«
»Meinen Sie das im Ernst?«
»Ja, natürlich! Sehe ich aus, als ob ich scherze? Danach ist mir seit meiner Rückkehr wahrlich nicht zumute.« Carla lächelte. »Also, nehmen Sie mein Angebot an? Ich wäre sehr glücklich, Sie um mich zu haben. Schließlich werde ich noch eine ganze Weile allein auf Buchenhain leben. Und Sie sind mir so vertraut nach all den vielen Briefen.«
Fräulein von Pulkendorf war stehengeblieben. Sie drückte Carlas Hände. »Selbstverständlich nehme ich an. Sie
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