Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
blähte die Nüstern und tänzelte nervös hin und her. Als es ein lautes Wiehern ausstieß, lächelte Hans. »Ich glaube, Honey mag Sie auch.«
Von nun an ritt Feodora täglich mit Honey aus. Bereits wenn sie den Stall betrat, scharrte das Tier mit den Hufen und begrüßte sie mit einem freudigen Wiehern. Anfänglich begleiteten Heinrich und Rex sie, aber schon nach ein paar Tagen schob er dringende Geschäfte vor. Er wollte nicht zugeben, dass Feodora ihm zu wild war, er einfach mit ihrem Tempo nicht mithalten konnte. Anders Rex. Er wich nicht von ihrer Seite, wenn sie in Reitkleidung war und rannte schon auf dem Weg zum Stall aufgeregt bellend neben ihr her.
»Darf er mit?«, hatte sie Heinrich gefragt.
»Wenn er unbedingt will, meinetwegen«, sagte der leicht mürrisch. Er war es gewohnt, Rex immer um sich zu haben.
Der Hund hielt jedes Tempo mit, auch den schärfsten Galopp, und wenn er verdreckt und völlig außer Atem nach Hause kam, fiel er zu Heinrichs Füßen in einen Stunden währenden Tiefschlaf, was diesen wieder versöhnte.
Auf ihren Ritten durch die herrliche Landschaft fiel alles von Feodora ab. Sie fühlte sich frei, vergaß für einige Stunden ihr Unglück und die Demütigungen der vergangenen Nacht. Erst wenn sie erhitzt vom Galopp in das Haus stürmte und ihr Mann sie mit hoch gezogenen Augenbrauen und der Taschenuhr in der Hand empfing, brach ihre noch eben empfundene Lebensfreude wie ein Kartenhaus zusammen. »Wo treibst du dich bloß immer so lange herum?« Wie sehr sie diesen Satz hasste!
Die Vorbereitungen für die Entenjagd liefen auf Hochtouren. Die zahlreichen Gästezimmer mussten gelüftet und gereinigt, Betten bezogen, Tischwäsche gewaschen und gebügelt und Silber geputzt werden. Feodora dachte nicht daran, ihre Hilfe anzubieten. Sie ritt aus, schrieb Tagebuch, das sie immer sorgsam versteckte, und las Bücher aus Heinrichs wirklich fabelhafter Bibliothek.
»Wo hast du nur all die Originalausgaben her?«, fragte sie ihn immer wieder erstaunt.
»Geschenke von Geschäftsfreunden«, war meist seine Antwort.
»Aber hier, das ist in Russisch und das in Französisch.« In einer Hand hielt sie Anna Karenina und in der anderen Der Glöckner von Notre Dame . »Kannst du die Bücher überhaupt lesen?«
»Nein, du etwa?«
»Hast du vergessen, dass meine Mutter Russin ist? Ich spreche die Sprache fließend, und Französisch hat mir Julchenbeigebracht.« Und so verschlang sie Tolstoi, Balzac, Flaubert, Hugo sowie Schiller, Goethe, Kant und viele mehr und vergaß dabei die Welt um sich herum.
Wenn sie und Irma allein waren, unterrichtete die sie über das tägliche Geschehen im Haus. »Die Kastner scheucht vielleicht die armen Mädchen … Dass sie keine Peitsche nich benutzt, is’n Wunder«, erzählte Irma ihr in den Tagen vor der Jagd. »Jott sei Dank hat se mir nuscht zu sagen. Dat hab ich ihr jleich klarjemacht.«
»Gut so, Irmchen. Wenn sie frech wird zu dir, sag es nur. Dann bekommt sie es mit mir zu tun.«
»Haste wat dagegen, wenn ich Käthe ’nen bisken in der Küche helfe? Ich hab ihr jesacht, dat ich so jute Pasteten …«
»Nein, natürlich nicht. Ich weiß ja noch von Elfriede, was vor einer großen Einladung immer in der Küche los war. Es gibt keine Mamsell, die bei solchen Gelegenheiten nicht völlig mit den Nerven fertig ist.«
Am Tag bevor die Gäste eintreffen sollten, bat Feodora Fräulein Kastner zu sich. Sie war bereits in Reitkleidung, neben ihr hechelte Rex.
»Was kann ich für Sie tun, Frau Baronin?«
»Haben Sie schon die Zimmer für die Gäste eingeteilt? Ich möchte wissen, wo meine Tante, die Baronin von Harvich, Fräulein von Pulkendorf und die Familie Henkiel untergebracht sind.«
»Der Herr Baron hat die Einteilung ganz mir überlassen. Der Plan ist bereits fertig.«
»Nun, dann werden wir ihn gegebenenfalls wieder ändern.« Feodora sah die Liste durch, die ihr die Hausdame mit offensichtlichem Widerwillen gegeben hatte. »Ich möchte,dass die Herrschaften, die ich Ihnen eben genannt habe, hier auf meiner Etage nächtigen. Also ändern Sie den Plan.« Ihre Stimme war eisig. »Und noch etwas. Um den Blumenschmuck und das Obst in diesen Zimmern werde ich mich persönlich kümmern. Komm jetzt, Rex.«
Die Hausdame schäumte vor Wut, wie Irma Feodora am Abend fröhlich berichtete.
Es war ein herrlicher Spätsommertag. Käthe und die Küchenmädchen hatten auf der Terrasse ein großes Buffet mit verschiedenen Kuchen, Wurst, Schinken und
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