Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
Übrigens, man höre und staune, Heinrich hat mich vorhin gebeten, ihm bei der Tischordnung zu helfen. Das wird den Hausdrachen sicher mächtig ärgern. Ich habe ihm geraten, die Ehepaare auseinanderzusetzen.«
»Da wird meine Mutter ja froh sein. Sie regt sich immer auf, wenn Papa so viel frisst. Nach so vielen Jahren Ehe. Kannst du dir das vorstellen?«
»Mein Mann kann fressen, so viel er will, viel schrecklicher kann er gar nicht werden.« Die beiden Mädchen kicherten.
»Und wo sitzt der schöne Gottfried?«, fragte Ida.
»Neben dir, meine Liebe. Ich dachte, ich tue dir damit einen Gefallen.«
»Fein, er ist fraglos der schönste Mann der ganzen Gesellschaft. Und auf jeden Fall besser als einer der alten Tattergreise.«
Feodora kämpfte wie stets mit ihrer wilden Mähne.
»Soll ich dir helfen? Du siehst immer noch aus wie ein roter Mob.« Ida war aufgesprungen und hatte mit ein paar Handgriffen aus den widerspenstigen Locken eine kunstvolle Hochfrisur gezaubert.
»Danke Idachen, so ordentlich habe ich schon lange nicht mehr auf dem Kopf ausgesehen.«
»O Gott!«, rief Ida plötzlich. »Vielleicht sollte ich mich auch langsam mal umziehen. Es ist ja schon fast acht. Bis gleich.« Sie stürmte aus dem Zimmer.
Ganz gegen ihre Gewohnheit begann Feodora sich sorgfältig zu schminken. Sie legte Puder und Rouge auf. Wo war denn bloß ihr Lippenstift? Hastig kramte sie in Schubladen und Kästchen. Endlich, da war er, ganz unten in einer schon lange nicht mehr benutzten Handtasche. Zum Schluss umrandete sie ihre Augen mit einem schwarzen Stift, wie sie es bei ihrer Mutter gesehen hatte. Meine Mutter! Der Gedanke an sie versetzte ihr einen Stich in der Brust.
Kurz bevor die Gäste herunterkamen, hatte Ludolf, der als Erster Diener einen Frack trug, die Schar der Lakaien inspiziert. Waren auf den kurzen schwarzen Jacken auch keine Fusseln, saßen die Escarpins – so hießen die kurzen, glänzenden Kniebundhosen –, waren die Lackschuhe geputzt und die weißen Kniestrümpfe und Baumwollhandschuhe fleckenfrei?
Währenddessen überprüfte Fräulein Kastner zum letzten Mal, ob alle Kerzen brannten, genug Ersatz bereitlag, keine der frischen Blumen schon den Kopf hängen ließ und in der Bibliothek die Zigarrenkisten aufgefüllt waren.
Pünktlich um acht Uhr setzte der Strom der Gäste ein. Alle Damen kamen in Abendkleidern, die Herren in Frack oder Uniform. Die Diener standen bereits bereit, in den Händen Silbertabletts mit gefüllten Champagnergläsern aus schwerem Kristall. Als Feodora erschien, wie immer etwas zu spät, waren die Salons schon voll mit heiter plaudernden Menschen. Das Licht der zahlreichen Kerzen ließ manche Damen schöner erscheinen, als sie waren. Heinrichs strafenden Blick übersah Feodora geflissentlich. Heute war esihr egal. Sie fühlte sich jung und schön, und sie wollte den Abend genießen. Für ein paar Tage war das Leben einmal aufregend. Endlich! Bewundernde Blicke folgten ihr, als sie, freundlich mit diesem und jenem plaudernd, durch die Salons schritt, ganz die reizende Gastgeberin. Sie sah wirklich hinreißend aus. Das taupefarbene, tief dekolletierte Taftkleid, zu dem Ida ihr geraten hatte, mit dem dazu passenden Topasschmuck, rauchfarbene, taubeneigroße, in Brillanten und Gold gefasste Steine, harmonierten perfekt mit ihrer alabasterfarbenen Haut und ihren tizianroten Haaren – als wären diese Farbtöne nur allein für sie erfunden worden.
An der noch geschlossenen Tür zum großen Speisesaal stand Heinrich mit einem vollwangigen, großen Mann. Unter dichten schwarzen Augenbrauen blickten wässrige blaue Augen neugierig in ihre Richtung. Sie standen im krassen Gegensatz zu seinen dicken, sinnlichen Lippen. Dieser Gast musste gerade erst angekommen sein, Feodora kannte ihn nicht. Beide Herren steuerten jetzt auf sie zu. »Liebes, darf ich dir meinen Freund Karl Fichtel vorstellen. Er ist mein Finanzberater und Vermögensverwalter. Ich habe dir doch schon von ihm erzählt«, sagte Heinrich.
Feodora erinnerte sich dunkel.
»Ich bin entzückt.« Karl Fichtel beugte sich tief über ihre Hand. »Darf ich mich als Erster in Ihre Tanzkarte eintragen?«
»Hoho, der erste Tanz gebührt ja wohl mir, dem Ehemann«, rief Heinrich launig.
In dem Moment öffneten zwei Diener die große Flügeltür, und Ludolf schlug den Gong, das Zeichen, sich zu Tisch zu begeben. Es dauerte eine Weile, bis alle die ihnen zugedachtenPlätze gefunden hatten. Der Champagner zeigte bereits seine
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