Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
hatte sich ausgerechnet, dass er, wenn alles mit rechten Dingen zuging, nicht neben ihr landen würde. Und doch, irgendwann ertönte sie wieder, die spöttischeStimme. Eine heiße Welle durchflutete ihren Körper. Wieder schlug ihr Herz bis zum Hals. »Wie hast du das denn geschafft?«, fragte sie, während sie in ihrem Nachtisch herumstocherte.
»Das war gar nicht so schwer.« Er grinste. »Ich wollte dir den alten Grüben ersparen und habe ihn an den mir zugedachten Platz geführt.«
»Wie rührend.« Feodora wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Nun nimm dich zusammen , sagte sie sich. Du bist eine Troyenfeld und keine dumme Gans .
Erleichtert sprang sie auf, als ihr Mann die Tafel aufhob. Die Kapelle spielte einen langsamen Walzer, und er eröffnete mit ihr den Tanz. Aber als die Musik in eine Polka überging, war er bald außer Atem.
»Darf ich den Baron ablösen?« Gottfried stand sofort neben ihnen, als Heinrich haltmachte, um sich Gesicht und Stirn abzuwischen.
»Aber gern, mein junger Freund«, sagte Heinrich, der immer noch nach Atem rang, dankbar. »Ich werde mir jetzt mal einen Verdauungsschnaps gönnen.«
Bei der schnellen Polka konnte man nicht viel reden, und Feodora war froh, dass auch andere Herren ihr Recht einforderten, mit der Gastgeberin zu tanzen. Sie flog von Arm zu Arm.
»Komm, Ida, lass uns draußen ein wenig frische Luft schnappen«, sagte sie, als die Musiker eine Pause machten. »Mir ist schrecklich heiß.«
Es war eine sternenklare Nacht, aber bereits merklich kühler als die vergangenen Abende. Bald würde der Herbst mit seinen Stürmen über das Land hereinbrechen und bald darauf der endlos lange Winter.
Die Mädchen lehnten an der Balustrade der Terrasse. Beide hingen ihren Gedanken nach. Gedämpftes Stimmengewirr drang nach draußen, ab und zu wurde es von einem lauten Lachen unterbrochen.
»Ich habe Angst«, sagte Feodora nach einer Weile des Schweigens. »Angst vor der monatelangen Einsamkeit, allein mit diesem Mann.«
Ida legte den Arm um ihre Freundin. »Wir werden uns sooft wie möglich besuchen«, sagte sie tröstend. »Du hast doch gesagt, Heinrich hätte es erlaubt.«
»Aber du weißt doch selbst, im Herbst, wenn es stürmt und die Wege aufgeweicht sind, und dann im Winter bei Eis und Schnee kann ich nicht mehr reiten, sondern muss mit der Kutsche fahren, und auch das wird oft nicht möglich sein.«
»Ach Fedachen, der Winter geht doch auch wieder vorbei.«
Die Musik hatte erneut eingesetzt, und Kajo Wedel trat auf die Terrasse. »Ach, da seid ihr!«, rief er. »Ich habe euch überall gesucht. Ida, ein langsamer Walzer … komm.«
»Ich bleibe noch einen Moment«, sagte Feodora. Traurig blickte sie ihnen nach. Der junge Mann war offensichtlich in ihre Freundin verliebt. Sie musste Ida fragen, wie sie zu ihm stand. Fröstelnd zog sie die Schultern hoch. Einen Moment noch, dann würde sie sich wieder ins Getümmel stürzen.
»Darf ich dich ein wenig wärmen?« Wie aus dem Nichts tauchte Gottfried neben ihr auf und legte seine Arme um sie. Sie spürte seinen warmen Atem an ihrem Ohr, dann suchte er ihren Mund, und ihre Lippen verschmolzen ineinander. Zärtlich strichen seine Hände über ihren Rücken, fanden ihre Brüste, sie glaubte zu zerfließen. Da … ein Geräusch amEnde der Terrasse! Die Stimme der Hausdame, die laut mit einem Lakaien schimpfte.
Feodora erstarrte. »Um Gottes willen, Gottfried, geh. Heinrich wird dich fordern, wenn er das erfährt«, flehte sie leise.
»Ich schieße mit Sicherheit besser als er.«
»Geh, bitte!«
»Wir sehen uns wieder.« Noch ein letzter, flüchtiger Kuss, dann verschluckte ihn die Dunkelheit.
Am nächsten Morgen war er weg. Er war in aller Frühe abgereist. Die Tage nach der Entenjagd erlebte Feodora wie in Trance. Sie ging wie auf Wolken, glaubte noch immer, die zarten Berührungen seiner Hände auf ihrem Körper zu spüren, die weichen, warmen Lippen auf Hals und Mund. Wenn Heinrich nachts zu ihr kam, versuchte sie sich vorzustellen, es wäre er, Gottfried, aber es gelang ihr nicht. Die Wirklichkeit holte sie wieder ein.
Über Nacht war es Herbst geworden. Das Barometer fiel von Tag zu Tag tiefer, und dann begann der Himmel seine Schleusen zu öffnen. Es schüttete wie aus Eimern, Wege und Felder weichten auf. Die Stürme rissen das Laub von den Bäumen und ließen den See aussehen wie ein aufgewühltes Meer. In allen Kaminen im Haus brannte bereits ein Feuer, damit Feuchtigkeit und Kälte gar nicht
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