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Solange am Himmel Sterne stehen

Solange am Himmel Sterne stehen

Titel: Solange am Himmel Sterne stehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Harmel
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drückte sanft Roses Arm und lächelte. »Na schön, Rose«, sagte sie. »Na schön.«

4
    Ich hatte nie vor, hierher zurückzukehren, zu der Bäckerei, zum Cape, zu irgendetwas hier.
    Mit sechsunddreißig hätte ich eigentlich nicht Mutter eines Teenagers und Besitzerin einer Bäckerei sein sollen. Als ich zur Schule ging, träumte ich davon, irgendwohin weit weg zu ziehen, um die Welt zu reisen, eine erfolgreiche Anwältin zu werden.
    Dann lernte ich Rob kennen, der im letzten Jahr seines Jurastudiums war, als ich eben mit dem Grundstudium fertig wurde. Wenn ich gedacht hatte, die magnetische Anziehungskraft des Cape sei stark, dann war das gar nichts verglichen damit, in seine Kreisbahn gezogen zu werden. Als im ersten Jahr meines Hauptstudiums irgendetwas mit meiner Verhütung schiefging und ich ihm sagen musste, dass ich schwanger war, machte er mir in der nächsten Woche einen Heiratsantrag. Das sei, sagte er, das Richtige.
    Wir hatten gemeinsam entschieden, dass ich mir ein Jahr Auszeit für das Baby nehmen würde, bevor ich mein Studium wieder aufnahm. Annie wurde in jenem August geboren. Rob fand einen Job bei einer Kanzlei in Boston und schlug vor, dass ich mit unserer Tochter noch etwas länger zu Hause bleiben sollte, da er jetzt mehr Geld verdiente. Anfangs schien das eine gute Idee zu sein. Aber nach dem ersten Jahr war die Kluft zwischen uns so tief geworden, dass ich nicht mehr wusste, wie ich sie überbrücken sollte. Meine Tage, die aus Windeln, Stillen und Sesamstraße bestanden, weckten kaum sein Interesse, und ich war zugegebenermaßen eifersüchtig auf ihn, da er jeden Tag in die Welt hinauskam und all die Dinge tat, von denen ich früher geträumt hatte. Nicht dass ich es bereute, Annie bekommen zu haben; so habe ich es nicht eine Sekunde empfunden. Ich bedauerte nur, dass ich nie die Chance gehabt hatte, das Leben zu führen, von dem ich geglaubt hatte, dass ich es führen sollte.
    Als bei meiner Mutter vor neun Jahren zum ersten Mal Brustkrebs festgestellt wurde, erklärte sich Rob nach vielen nächtelangen Auseinandersetzungen bereit, mit mir zurück ans Cape zu ziehen, nachdem er erkannt hatte, dass er sich dort als einer der wenigen Fachanwälte für Personenschäden in der Gegend selbstständig machen konnte. Mamie passte tagsüber in der Bäckerei auf Annie auf, während ich als Robs Anwaltsgehilfin arbeitete. Das war nicht unbedingt das, was ich mir erträumt hatte, aber annähernd genug. Als Annie in die erste Klasse kam, konnte sie Törtchen glasieren und Teigränder andrücken wie ein Profi. Für ein paar Jahre war dieses Arrangement nahezu perfekt.
    Dann meldete sich bei meiner Mutter der Krebs zurück, Mamies Gedächtnis begann immer größere Lücken aufzuweisen, und es gab niemanden außer mir, um die Bäckerei zu retten. Bevor ich es mich versah, war ich zur Bewahrerin eines Traums geworden, der nicht meiner war. In der Zwischenzeit war mir alles entglitten, wovon ich je selbst geträumt hatte.
    Es ist fast fünf Uhr morgens, und bis zum Sonnenaufgang sind es noch zwei Stunden. Als ich in die Grundschule ging, sagte Mamie oft zu mir, jeder neue Morgen sei, als würde man ein Geschenk von Gott auspacken. Das fand ich immer etwas verwirrend, denn sie war keine große Kirchgängerin. Aber abends, wenn meine Mutter und ich zum Essen zu Besuch kamen, trafen wir sie manchmal kniend am Hinterfenster an, wo sie leise betete, während das Licht vom Himmel fiel. »Ich habe lieber meine eigene Beziehung zu Gott«, erklärte sie mir einmal, als ich sie gefragt hatte, warum sie zu Hause betete und nicht in der Kirche Our Lady of the Cape.
    Heute Morgen zieht der Duft von Mehl, Hefe, Butter, Schokolade und Vanille durch die Backstube, und ich atme tief ein und entspanne mich in der Vertrautheit all dessen. Seit ich ein kleines Mädchen war, haben mich diese Gerüche immer an meine Großmutter erinnert, denn selbst nachdem die Bäckerei geschlossen war, selbst nachdem sie zu Hause geduscht und sich umgezogen hatte, lag in ihren Haaren und auf ihrer Haut noch immer der Duft der Backstube.
    Während ich Tortenböden ausrolle und noch ein bisschen Mehl in den industriellen Mixer gebe, bin ich in Gedanken nicht bei der Arbeit. Ich denke über Mamies Worte gestern Abend nach, während ich die morgendlichen Vorbereitungen methodisch, ja, geradezu mechanisch verrichte. Ich sehe auf die Zeitschaltuhr für die Schokoladensplitter-Baisers in Ofen 1. Rolle den Teig für die Mandel-Rosen-Törtchen aus,

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