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Solange die Nachtigall singt

Solange die Nachtigall singt

Titel: Solange die Nachtigall singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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breites Bett, viel breiter noch als das im Gästezimmer. Ein Bett voller weicher Kissen und gewebter Überwürfe, ein Bett, bestehend aus Schönheit.
    Auf diesem Bett fanden seine verwirrten Augen die Schwestern. Ihre Kleider lagen über drei Stühlen neben dem Bett, drei identische weiße Nachthemden voller winziger Stickereien. Sie mussten die Knöchel bedecken, wenn die Schwestern sie trugen.
    Jetzt bedeckten sie nichts.
    Die drei Mädchen auf dem Bett waren nackt.
    Die drei Mädchen auf dem Bett waren nackt.
    Sie saßen auf der Kante des Betts, sie schliefen seit ein paar Wochen in diesem Bett. Dieser Raum hatte keine vernagelten Fenster. Er hatte gar keine Fenster, nur einen Schlitz unter der Tür, der groß genug war, um ein Tablett mit Essen hindurchzuschieben, und nebenan eine Toilette, ebenfalls fensterlos. Die Männer waren lange nicht da gewesen. Eine Weile hatte es ausgesehen, als wollten sie nichts mehr mit ihnen zu tun haben, als wüssten sie nicht mehr, was sie mit ihnen anstellen sollten. Nichts hatte geklappt, die Männer waren wütend, oder vielleicht nicht wütend, eher resigniert.
    Aber heute waren sie wiedergekommen. Und sie hatten gesagt, die Mädchen sollten ihre Kleider ausziehen. Ihre Kleider waren nicht ihre Kleider, sie waren aus ihren eigenen Kleidern herausgewachsen. Die Männer hatten ihnen vor langer Zeit neue gegeben: Hosen und T-Shirts in kränklich blassen Pastellfarben, aus irgendeinem Sonderangebot. Nun lagen die kränklich blassen Pastellfarben auf dem Boden vor ihnen. Der eine Mann schob sie mit dem Fuß unter das Bett.
    »Was passiert jetzt?«, fragte das erste kleine Mädchen.
    »Wir werden beißen und schreien«, sagte das zweite kleine Mädchen.
    »Unser Vater wird das nicht zulassen«, sagte das dritte kleine Mädchen.
    Der Mann, der die Kleider unter das Bett geschoben hatte, lachte. Sein Lachen war rau.
    »Das ist, was wir hoffen«, sagte er. »Dass er wird sehen. Endlich tun, was wir verlangen.«
    »Seht her«, sagte der andere Mann, der freundlichere. Er hielt einen Fotoapparat in der Hand und streckte ihn ihnen entgegen, als wollte er beweisen, dass der Apparat nicht biss. »Euch passiert nichts. Wir machen Bilder. Nur Bilder, die wir an euren Vater schicken. Bilder sind besser als ein Brief. Euer Vater und die Leute von der Regierung können von Bildern denken, was sie wollen. Sie werden sie erschrecken.«
    »Steht auf!«, befahl der unfreundliche Mann. »Da, dahin, auf das Bett, Licht ist heller. Los!«
    Das erste kleine Mädchen stand auf und kletterte auf das Bett, zögernd. Das zweite kleine Mädchen folgte. Das dritte kleine Mädchen ließ sich von den anderen hinaufziehen. Der Mann mit dem Apparat machte ein Bild. Und noch ein Bild. Es war kalt in dem Raum, sie spürten die Gänsehaut der jeweils anderen. Schließlich schob der Mann, der keinen Apparat hatte, sie auseinander und drängte sich zwischen sie.
    »So besser«, sagte er. »Anders ist nur Bild von Kinder, wie Kinder an Strand. Harmlos. Besser, ein Mann mit auf Bild.«
    Der mit dem Apparat nickte. Der Mann auf dem Bett war angezogen, sie waren nackt. Er legte seine Arme um sie, und sie zuckten vor der Berührung zurück.
    Der zweite Mann machte mehr Bilder. »Genug«, sagte er schließlich.
    »Zieht euch wieder an.«
    Doch der andere Mann hielt die drei kleinen Mädchen noch immer fest. Er lachte plötzlich, sein Lachen war noch rauer als zuvor. »Wir können machen noch bessere Bilder«, sagte er leise.
    Dann ließ er die Mädchen los. Das erste kleine Mädchen rollte zur Seite weg. Das zweite kleine Mädchen trat nach ihm und machte einen Satz nach vorn. Das dritte kleine Mädchen war in die Überlegung versunken, was ihr Vater sagen würde, wenn er die Bilder sah.
    Sie kam nicht weit in ihrer Überlegung. Der Mann auf dem Bett packte sie, drückte sie mit einem Arm an sich, sodass sie die kalten Metallknöpfe seines Hemds an ihrem Rücken spürte, und griff mit dem anderen um sie herum, blitzschnell. Sie spürte seine Hand zwischen ihren Beinen, spürte, wie seine Finger in die Tiefe dort glitten, als suchten sie etwas.
    Und dann hörte sie etwas fallen. Die Kamera. Sie sah den anderen Mann vorwärtsspringen.
    Sie merkte, dass sie auf dem Boden lag, sie war vom Bett gerutscht oder gestoßen worden.
    Als sie wieder klar denken konnte, saßen die Männer nebeneinander auf dem Bett und schrien einander ins Gesicht.
    Die Mädchen zogen sich stumm an, während die Männer stritten. Das erste kleine

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